Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
rücksichtsvoller, teilt sie mit, als mache sie dieser Entschluss zu einem besseren Menschen. Sie spricht von Patientenverfügung, Testament und Notar, vom Sparen für ein Einzelzimmer im Heim und dass sie jederzeit bereit sei fürdas Finale. Da wird sich Freund Hein aber freuen, er schätzt Ordnung und Sauberkeit über alles, sage ich.
Ab sofort lasse ich mir nicht mehr die Haare färben, kündigt Evi noch an, sie kündigt es seit fünfzehn Jahren an, sie halte die langen Friseursitzungen nicht aus. Haare färben sei würdelos, sie stehe zu ihrem Alter, die Chinesinnen würden sich auch nicht die Haare färben. Ab nächsten Monat lasse ich nicht mehr färben, verkündet sie resolut. Mach doch, sage ich. Mache ich nicht, ruft Evi empört, da sehe ich ja aus wie siebzig. Es wird dann doch noch ein lustiger Abend. Sie vertrage neuerdings nur noch ein einziges Glas Wein, hatte sie erklärt und bei zunehmendem Wohlbefinden drei getrunken und einen Grappa oben drauf.
Sie jonglierte das volle Grappaglas auf ihrem Kopf: Meinst du, dass ich noch mal einen Mann finde?
Hast du doch früher auch.
Da waren wir ja auch schöne alte Mädchen, kichert sie.
Ich war ein schönes junges Mädchen.
Ist doch egal jetzt, sagt Evi.
Meine alten Freundinnen sind kapriziöse Wesen. Sie treffen Entschlüsse, die sie am nächsten Tag rückgängig machen, äußern extreme Ansichten und pflegen seltsame Gewohnheiten. Rosi geht nach sechs Uhr abends nicht mehr aus dem Haus, sie hat Angst, überfallen zu werden, übernachtet aber bis Mitte November in ihrer Laube. Beate spricht von sich nur noch als »Rentnerin«, als würde der Hinweis auf ihren Status als Leistungsempfängerin sie aus allen anderen Zusammenhängen lösen. Ich bin Rentnerin, sagt sie, als enthebe sie das jeglicher Verantwortung für ihr Leben. Christine ist nicht erreichbar, Elli tot, Karin ist aufsLand gezogen. Mit Hanna gehe ich ab und an aus, die gibt nicht auf, die lebt, da ist kein Ende in Sicht. Sylvie ist auch nicht mehr, wie sie mal war, werden meine alten Freundinnen sagen und Recht haben damit.
Meine jungen Freundinnen sind Frauen mit Vergangenheit, sie waren mal die Freundinnen meines Mannes, ich habe sie übernommen wie ein neuer Chef ausgewählte Exemplare der alten Belegschaft. Jedenfalls zwei von ihnen, kuriose Geschöpfe, eigenwillig, clownesk, mit Porzellanteint und schnellem Schritt. Ich partizipiere von dem guten Geschmack meines Mannes und der gerontophilen Neigung jener jungen Frauen. Ich finde, Großzügigkeit ist dem Alter nützlich. Ich bin nicht nachtragend, der Kummer und die Verzweiflung von einst – vergeben und vergessen. Die Frauen meines Mannes sind meine Freundinnen – ein leiser Triumph über Konkurrenz, Eifersucht und Liebeskummer und über das Alter. Wenn ich mit Tanja oder Johanna unterwegs bin, fragen die Leute: Ach, Ihre Tochter? Nein, nicht meine Tochter, eine Freundin. Nicht die Tochter also, was dann, die Geliebte vielleicht? Die Vorstellung, dass Frauen verschiedenen Alters Freundinnen sind, scheint abgelegen.
Mit meinen jungen Freundinnen kann ich siebzehn sein oder dreißig oder sechsundsechzig. Ich empfinde für sie Mitgefühl und Bewunderung. Wehmut auch. Sie haben vor sich, was ich hinter mir habe: die Erfahrung, dass die Jugend kürzer ist als das Alter. Jung ist man zwischen zwanzig und vierzig, also zwanzig Jahre lang. Alt ist man von vierzig bis achtzig, also vierzig Jahre lang; heutzutage kann man die erste Hälfte des Alters unter günstigen Umständen noch der späten Jugend zuschlagen.
Meine jungen Freundinnen sind im Alter meiner Töchter, doch sind sie etwas ganz anderes als Töchter. Mit ihnen zusammen kann ich Frau sein und Mädchen. Selbst von Mutter zu Mutter tausche ich mich mit ihnen aus. In meinen jungen Freundinnen erkenne ich mich wieder. Dieses Wiedererkennen ist frei von der Verantwortung und Fürsorge, die man seinen Kindern gegenüber empfindet. Der Umgang mit meinen jungen Freundinnen ist leicht und unbeschwert, albern, und ja, frivol ist er auch. Neulich habe ich Tanja Fotos meiner einstigen Liebhaber gezeigt, alle zwischen zwanzig und dreißig, alle mit weichen Mündern und dunklen Haaren, mein Beuteschema, wie man das heute nennt, lange her. Die sehen ja alle gleich aus, bemerkte Tanja herablassend, die wären mir alle viel zu jung. Du kannst das nicht verstehen, weil du auf Alte abonniert bist – enttäuscht steckte ich die Fotos zurück in den Briefumschlag, mit einem Anflug von Tristesse,
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