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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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der Reservierung einer gemeinsamen Grabstelle zugestimmt. Konrad hatte ihr das kleine Rasenstück unter einer Birke gezeigt. Es sei doch sehr schön, nah an der Straße, in Hörweite des Lebens, das verspreche Teilnahme, wenn auch passiv. Er pries die Grabstelle wie eine eben erstandene Eigentumswohnung: Ich weiß jetzt, wo ich hinkomme, wenn ich tot bin, da kenne ich mich aus, da liegen alle meine Freunde, und du musst nachkommen. Oder du, sagte Sylvie, das steht in den Sternen. Konrad findet es beruhigend, seine ewige Ruhe auf Nummer Sicher zu haben. Sie haben eine Urkunde, wo draufsteht, wie lange sie verweilen dürfen auf Platz 936, Nummer 393, und wieviel sie im Voraus dafür bezahlt haben.
    Kümmere dich um das Grab, und lebe lange!, hatte Sylvie damals gesagt.
    Vielleicht setze ich mich demnächst mal mit einem Buch an unser Grab, hatte Konrad erwogen, kann keiner was gegen sagen, ist ja reserviert.
    Da könne er noch lange genug sein, wenn es soweit sei, hatte Sylvie eingewandt.
    Ja, im Liegen, nicht im Sitzen, war seine Antwort gewesen. Dazu war ihr nichts eingefallen.
    Einmal hat Konrad zusammen mit fünf anderen Freunden des Verstorbenen den Sarg getragen. Die Witwe hatte ihn aus rohem Holz tischlern lassen, vom Schreiner des Dorfes, in dem ihr Landhaus stand. Es war ein sehr massiver Sarg. Die intellektuellen Amateur-Sargträger mühten sich ächzend; es bestand die Gefahr, dass ihnen die ungewöhnlich schwere Kiste entgleitet, sie waren schließlich keine Möbelpacker. Er war Handarbeit, der Sarg, da konnte alles passieren. Die stumme Frage in ihren Augen: Ist der auch ordentlich zu?
    Beerdigungen sind Trauerspiele, es ist die Stunde der Statisten, der Hauptdarsteller ist verhindert. Ein glatzköpfiger Schauspieler hat sich neben das Grab des toten Regisseurs gehockt, der ihn immer besetzt hatte, und heulte laut los, vielleicht schwante ihm, dass dieser Auftritt seine letzte große Rolle war. Die Witwe stand gefasst daneben. Einen der Trauernden überkam ein asthmatisches Röcheln – er unterdrückte ein Lachen.
    Sylvie hatte vor ein paar Wochen die Totenrede für Lilli gehalten, eine ihrer ältesten Freundinnen. Du musst den kleinen Finger fest an den Daumen pressen, das hilft, hatte ihr wer geraten. Es half nicht, mit dem ersten Satz überfiel sie ein Schluchzen, sie konnte nicht weitersprechen. Du feige Memme, schimpfte ihre innere Stimme, du feige Memme heulst, weil du dich selbst bemitleidest, es geht dir gar nicht um Lilli. Das half. Sie kriegte die Rede hin. Der Schlusssatz ertrankdann doch in Tränen; er sollte lauten: »Da gibt es keinen Abschied.« Die tote Freundin erschien Sylvie im Traum, wie immer in Erdfarben gekleidet, mit einem Fotoapparat in der Hand. Wie ist es im Himmel?, fragte Sylvie in ihrem Traum. Wie auf der Erde, hatte Lilli geantwortet, nur dass keiner mehr Angst vorm Sterben hat.
    Achtzehn Minuten trennen die Lebenden von den Toten. So lange braucht das Vaporetto von Cannaregio bis zur Toteninsel San Michele. Eine Frau in Schwarz hält drei weiße Lilien in der Hand und eine Thermosflasche. Alle anderen Passagiere wollen offenbar nach Murano, auf die Glasinsel. Ein trüber, schwüler Tag. »Wenn die Gondeln Trauer tragen«, so hieß er doch, der Film mit Donald Sutherland. San Michele kommt in Sicht, bleiche Festung der Gebeine, abweisend, kühl, distanziert, von Mauern umstellt. Als würden die Toten mit den Lebenden nichts zu tun haben wollen. Als wollten sie ihr Ausgeschlossensein, gegen das sie machtlos sind, als Macht präsentieren. Als fühlten sie sich bedroht, trotz der hohen Zypressen, die über die Mauer ragen wie Wachtürme. Sind sie Gefangene, die Toten? Entfernt von dem Ort, wo sie gelebt haben, befinden sie sich nun in Quarantäne – der Tod eine Seuche? Das Schiff legt an.
    »Bis jetzt habt ihr gelebt wie ein Schwimmer oder ein Seemann, kommt nun zum Sterben in den Hafen!« – Seneca!, deklamiert Konrad beim Passieren des weißen Friedhoftors.
    Zitieren, Kopieren, Ennuyieren! Kannst du auch mal was Eigenes sprechen?
    Ich bin eben humanistisch gebildet, mein Vater war Operndirektor.
    Meiner beherrschte, wie du weißt, eher die triviale Seite der Bildung. »Am Honig leckt der Bär der braune, dein Vater«, vollendet Konrad.
    Das schrieb er mir ins Poesiealbum.
    Konni nickt: Ich habe dich aus der Gosse gezogen.
    Es ist ein Spiel mit Regeln, es funktioniert wie Domino. Seit Jahrzehnten reden sie, als lernten sie sich gerade erst kennen. Jeder hat seine vertrauten

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