Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Nationalpreis begossen haben – war das ein Untergang!, juchzt der Doktor zwischen den Leidtragenden.
Wo das Leben tanzt, tanzt auch der Tod. Der Totentrunk nach Stefans Beerdigung fand dort statt, wo gemeinhin das Leben tanzt, in Clärchens Ballhaus. Clärchens Beinhaus, raunte Konrad. Es gab Boulettenmit Kartoffelsalat, die Kellner hatten eine lebhafte Gesichtsfarbe und einen erfrischend diesseitigen Ton. Die alten Ägypter ließen bei rauschenden Festen Totengerippe hereintragen, um die Feiernden zu gemahnen, dass mitten im Leben der Tod sie umfängt, warum soll nicht mitten im Weinen über den Tod das Leben lachen dürfen. Paul McCartney hat einen Song darüber geschrieben, wie er sich seine Beerdigung wünscht, mit tanzenden Kindern. Der Beatle hat irische Wurzeln; wenn in Irland jemand gestorben ist, feiern die Hinterbliebenen sein Leben.
An der langen Tafel in Clärchens Ballhaus wurde wie üblich zu solchen Anlässen der Toten gedacht, geweint und gelacht. Freut euch des Lebens, solange das Lämpchen noch glüht. »Denke, dass jeder Tag der letzte sein kann, der dir leuchtet«, empfahl Horaz, und Montaigne wusste der Allgegenwärtigkeit des Todes durchaus Positives abzugewinnen: »Sich in Gedanken auf den Tod einzurichten hieße, sich auf die Freiheit einrichten.« Nichts mehr sei schlimm im Leben für denjenigen, dem die Erkenntnis aufgegangen ist, dass es kein Unglück ist, nicht mehr zu leben.
Nicht jeder hat ein Ende wie Konrads Schulfreund Rudolf, der Chorleiter. Nicht jede Frau tanzt Striptease am Totenbett ihres Geliebten. Rudolf lag im Sterben. Ein Jahr zuvor hatte er Dana kennengelernt, blond, üppig, sexy nach Art von Marilyn Monroe, der Traumfrau seiner Jugend. Rudolf war mit Dana durch die Welt gereist, hatte ihr Vorträge über Architektur gehalten, im Restaurant teuren Wein bestellt und ihr ein Kostüm gekauft, das sie elegant erscheinen ließ. Dana war das Objekt seiner Begierde, seiner Sucht nach Sex und Nähe, seiner Eifersucht, denn sie war verheiratet. Ihrgefiel, dass Rudolf sie bewunderte, auch wenn sich die Bewunderung hauptsächlich auf ihren Körper bezog. Ihr Leib bedeutete für ihn das Leben an sich. Plötzlich wurde der alte Rudolf sterbenskrank. Entstellt lag er in dem weißen Klinikbett und verlangte nach nichts außer nach Dana, seiner späten Liebe. In der letzten Nacht machte er Anstalten, sich die Schläuche und Kanülen vom Leibe zu reißen, er wollte aufstehen und weggehen mit ihr, hallo Taxi! Morgen, sagte Dana, morgen gehen wir, Rudi. Sie hielt seine Hand, er griff nach ihrer Brust. Er wollte sie nackt sehen. Es war weit nach Mitternacht gewesen, auf dem Krankenhausflur herrschte neonbeleuchtete Stille, die Nachtschwester trank Tee und füllte die Pillenschalen für den nächsten Morgen. Dana zog sich aus, langsam, ernst. Sie trug die magentafarbene Wäsche, die sie zusammen in Amsterdam gekauft hatten, den Tanga und den Halbschalen-BH mit der lila Spitze. Er sah ihr zu, unbewegt, unentwegt. Sie sah ihn an, bis die Verzückung in seinen Augen erstarrte. Dann zog sie sich an, ging hinaus auf den Flur und teilte der Nachtschwester den Tod des Patienten mit, es war halb drei. Auf dem Weg nach Hause weinte sie, um das Leben, um sich und um den einzigen Mann, der sie je ernst genommen hatte.
Konrad hatte Rudi seit der gemeinsamen Schulzeit gekannt, er konnte wunderbar Klavier spielen. Der ist nur aus einem einzigen Grund Chorleiter geworden, sagte er, nur wegen der Choristinnen, die Macht, die er über sie hatte, machte ihn attraktiv. Und wenn, sagte Sylvia, sie fand, dass Rudi Mitleid verdiente: Da hat er nun jeden Tag sechs Vitamin-E-Pillen und acht Vitamin-C-Tabletten geschluckt, dazu abwechselnd drei Potenzmittel; und dann das! Auch sonst hatte er vorgesorgt.Er hatte sich ein Erdgrab direkt neben der Familiengrabstätte seiner Geliebten gekauft, in Danas Heimat, der Sächsischen Schweiz, weitab vom 16. Arrondissement in Paris, wo er die letzten zwanzig Jahre gelebt hatte; er konnte nicht von ihr lassen.
Stefan soll sich ja letztes Jahr auch noch mal verliebt haben, warf der aufgeräumte Gynäkologe ein, um auf die Hauptperson der Totenfeier zurückzukommen. Er ist mit ihr sogar auf die Malediven geflogen, obwohl er doch an Flugangst litt. Die Liebe, die Liebe ist eine Himmelsmacht, stimmte er an. Sie ist Grabsteindesignerin, warf jemand ein. Das passt ja nun wieder, fügte der Frauenarzt vergnügungssüchtig hinzu.
Sylvia hatte vor drei Jahren auf Drängen von Konrad
Weitere Kostenlose Bücher