Spatz mit Familienanschluß
endlich.« Vater wurde ungeduldig.
»Also gut, ich tu’s. Kann ich Stefanie und Kathrin herunterholen?«
»Wozu herunterholen? Damit der Streit von neuem beginnt?«
»Nein, nicht um zu streiten, nur zum Dessert.«
Vater machte den Mund weit auf, um zu sagen: »Ich hab gesagt, es gibt kein Dessert, also gibt’s kein Dessert und damit basta.« Aber Vater machte den Mund wieder zu, wahrscheinlich, weil er fürchtete, der furchtbar freche Spatz auf der Stuhllehne könne das Loch in seinem Gesicht für eine Nisthöhle halten und sich da drinnen ein Nest bauen. Vater war über seinen Sohn so verblüfft, daß er etwas tat, was ihn bei seinem Sohn immer ganz hübsch auf die Palme brachte. Er beantwortete eine Frage mit einer Gegenfrage, weil er nicht ganz glauben konnte, was er gehört hatte.
»Du willst also hinauf in unser Appartement gehen und dort deine von dir nicht sonderlich geliebten Schwestern wieder an den Tisch der Familie zurückholen, zwecks Abfütterung dieser beiden intriganten Weiber mit dem besten Dessert, das es gibt? Das willst du?«
»Ja, das will ich.«
»Warum?«
Jetzt schaltete sich Mutter ein. »Warum wundert dich das so? Markus ist eben ein guter Bruder. Nicht wahr, du gehst jetzt nicht hinauf, um deine Schwestern zu ärgern?«
»Dann würde ich sie ja nicht herunterholen wollen.«
»Ich fasse es nicht«, sagte Vater. »Ich fasse es nicht, solch einen Ausbund an Tugend als Sohn zu haben. Christina, bitte zwick mich, damit ich merke, daß dies kein Traum ist.«
»Sag lieber, daß er hinaufgehen darf, um seinen guten Vorsatz auszuführen.«
»Meinetwegen«, sagte der Vater, »soll er gehen. Aber sag Kathrin und Stefanie gleich, daß du als Friedensengel kommst, sonst verhauen sie dich am Ende, bevor du deine frohe Botschaft an die Schwestern gebracht hast.«
»Darf ich auch noch ein Wort sagen?« meldete sich da Lucas.
»Ja, selbstverständlich, ist doch deine Idee.«
»Die beiden Mädchen sind natürlich furchtbar geladen, mach es daher schnell und kurz. Je kürzer du bist, um so besser.«
Markus nickte. Er ging durch die Tischreihen zum Eingang, versuchte einen Blick von Anne zu erhaschen, aber die unterhielt sich gerade mit ihrer Mutter und hatte kein Auge für ihn.
Oben starrten ihn seine Schwestern düster an, als wären sie bereit, ihn beim ersten verkehrten Wort in Stücke zu reißen. Da hieß es, schnell zu handeln.
»Ihr sollt runterkommen, zum Dessert. Ich denke, Renata hat es inzwischen serviert.«
»Ich denke nicht daran«, rief Kathrin, um sich selbst am meisten zu überzeugen. »Das fällt mir nicht im Traum ein. Zuerst wird man ungerechterweise vor allen Leuten nach oben geschickt. Dann wird der Fehler eingesehen, und man wird gebeten, wieder herunterzukommen.«
»Also direkt gebeten hat Papa nicht«, stellte Markus richtig.
»Jetzt sei doch nicht so stur«, meldete sich Stefanie. »Was geschehen ist, ist geschehen. Zugegeben, wir waren sehr verletzt.«
»Waren?« schrie Kathrin. »Wir waren nur verletzt? Stimmt nicht, wir sind verletzt und beleidigt, noch immer und noch lange Zeit. Sehr lange Zeit noch.«
»Kathrin!« flehte Stefanie. »Denk an die Eistorte.«
»Geh du, ich geh nicht.«
»Siehst du nicht ein«, sagte Markus, »daß es Steffi nicht schmeckt, wenn du nicht dabei bist?«
»Ja«, sagte Stefanie, »diesmal hat er recht.«
Kathrin begann zu schwanken. Das konnte man merken. Sie wollte gehen, aber sie konnte noch nicht. »Das ist doch nur eine blöde Masche von ihm«, sagte sie »Der lockt uns runter und unten sagt er ätsch, April, April, oder so was.«
»Also, ich gehe jetzt«, sagte Markus. »Ich hab’s euch gesagt. Wenn ihr keine Eistorte wollt, ist’s eure Schuld.« Er wandte sich um.
»Warte«, rief Kathrin, dann drehte sie sich zu Steffi: »Sieht man, daß ich geheult hab?«
»Nein«, sagte Stefanie.
»Wasch dich zur Vorsicht mit kaltem Wasser«, riet Markus.
Kathrin ging ins Badezimmer, und als sie zurückkam, sagte sie: »Aber das tu ich nur deinetwegen, Steffi. Nur weil du die Eistorte so gern magst.«
Zu dritt fuhren sie im Lift hinunter, jeder starrte vor sich hin.
In der Halle sagte dann Stefanie zu Markus: »Wäre das Ganze jetzt in einem amerikanischen Film, müßten wir wohl sagen: >Tut uns leid, daß wir dich mit deinen Schwimmkünsten so hochgenommen haben.< Aber wir sind keine Heuchler, eigentlich tut es uns nicht leid, also sagen wir es nicht.«
»Ist doch wurscht«, sagte Markus.
Am Ausgang, gleich links im
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