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Spatz mit Familienanschluß

Spatz mit Familienanschluß

Titel: Spatz mit Familienanschluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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nicht bemerkt.«
    »Und das Muttermal hat Marie nicht.«
    Sie standen noch immer bis über den Knien im Wasser. Markus hatte noch nie ein Mädchen so nett gefunden. Annes Nähe tat ihm wohl und ließ den ziehenden Schmerz am Schienbein vergessen.
    Sie nahm seine Hand. »Also, wir sagen nichts«, faßte sie noch einmal zusammen. »Abgemacht?«
    »Abgemacht«, sagte er und räusperte sich, weil ihm plötzlich feierlich zumute war. Es war auch ein feierlicher Augenblick, denn Anne nahm ihn ernst. Das war ein unbekanntes Gefühl für ihn. In der Schule verhöhnten sie ihn, machten sie ihn zum Sonderling, auch die Mädchen, weil er nicht ganz so war wie die anderen. Mutter und Vater seufzten über ihr Sorgenkind, seine Schwestern machten sich lustig über ihn und versuchten fortwährend, ihn zu unterdrücken. Anne verlangte etwas, was er tun konnte. Er mußte nur schweigen. Das konnte er.
    Kaum daß sie dem Wasser entstiegen waren, schrie Anne auf.
    »Was hast du denn?« fragte er verwundert.
    »Dein rechtes Schienbein, du blutest ja.«
    Er sah vorsichtig hinunter, denn Blut mochte er nicht sehen, schon gar nicht das eigene. Als er die Wunde sah, etwa vier, fünf Zentimeter lang, fühlte er sofort wieder den Schmerz ganz gewaltig, automatisch hinkte er.
    »Du mußt das verbinden lassen, damit ja kein Sand daraufkommt«, sagte sie, als hätte sie Kinderärztin studiert.
    »Mach ich nachher«, sagte er, als hätte die Sache Zeit. Da waren sie schon bei Ernst und Marie, die beiden spielten nun etwas ganz anderes. Ernst hatte den Landschaftsbau aufgegeben und in der Zwischenzeit Marie geheiratet. Nicht in Wirklichkeit selbstverständlich, nur so im Spiel. Sie hatten sich ein winziges Grundstück am Strand gekauft, einen Garten angelegt und ein Haus gebaut.
    Ernst war von der Garten- und Bauarbeit offensichtlich so müde geworden, daß er sich ausruhen mußte. Er lag auf der »Wiese« seines Grundbesitzes, hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah »seiner Frau« zu, wie sie ihm das Essen kochte. Es gab ein kleines Würstchen, zwei Tomaten und eine Paprikaschote, gewürzt mit dem feinen Strandsand, der sich auf dem Grundstück nicht vermeiden ließ.
    »Kriegen wir auch etwas von diesem wundervollen Essen?« fragte Markus, obwohl er keinen Bissen genommen hätte.
    »Ihr könnt ja mitspielen.«
    »Als was?« fragte Anne schnell. »Als Ehepaar, das auf Besuch kommt? Das geht aber nicht, mein Mann ist von einem Haifisch am Schienbein gebissen worden und muß sofort zum Arzt. Er braucht dringend eine Bluttrans... na, eine Bluttrans... na, wie heißt das Zeug gleich, Transmission heißt es nicht.«
    »Transfusion«, sagte Markus, und Anne war ihm dankbar, daß er auf das Wort gekommen war und nicht Ernst.
    »Als Ehepaar hättet ihr auch nicht mitspielen können«, sagte Marie.
    »So, als was dann?«
    »Als unsere Kinder.«
    Da schüttete sich Anne aus vor Lachen und zog Markus mit sich. »Die spinnt«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Wir als Kinder, so eine dumme Idee kann nur Marie haben.«

6

    Diesen Abend erschien Lucas erst zum Hauptgang. Er flog ohne Umschweife die Lehne des leeren Stuhles an und nahm mit einer eleganten Landung Platz. »Entschuldige die Verspätung«, sagte er ziemlich atemlos, »aber ich hatte ein wenig Ärger mit meiner Familie.«
    »Ärger mit wem?« fragte Markus.
    »Mit meinen Töchtern, aber da muß ich weiter ausholen. Wir hier, die Altamuras, denen die Terrasse vom Residence zusteht, wir sind Spatzen von hohem Rang. Ich sage das, ohne darauf besonders eingebildet zu sein. Die zweithöchste Stufe nehmen die Spatzen da unten ein, wo es die billigen Touristenmenüs gibt oder wo die Leute nur eine Pizza oder Pasta essen und billigen Wein trinken. Du merkst es ja an der Aufmachung, der Boden ist nur mit Kies bestreut, die Tische sind mit Billigtischtüchern gedeckt, und es gibt nur Papierservietten, nicht die schönen schweren Stoffservietten wie hier heroben. Das Geschirr ist aus schwerem, klotzigem Industrieporzellan und nicht aus dem feinen mit schicken Blumenmustern aus Künstlerhand wie hier. Noch eine Stufe tiefer sind die Spatzen vom Parkplatz, die von dem leben müssen, was aus den Autos herausfällt, zugegeben, es sind nicht nur Zigarettenkippen, manchmal finden sich auch kleine Keksstückchen darunter, die auch ich und meine Familie nicht verschmähen würden, aber es sind eben die Parkplatzspatzen. Als letzte kommen die ganz ordinären Straßenspatzen, die über alles herfallen,

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