Spatz mit Familienanschluß
vom Liegestuhl hoch und beugte sich über die Mauerbrüstung. Es war tatsächlich ein Wagen der polizia comunale. Der Bremsstreifen der Räder im Kies war zu erkennen, fast zehn Meter lang. Markus hätte gerne gewußt, was die Polizisten im Residence vorhatten, und er war nicht ganz ohne Angst und befürchtete, sie könnten ihn noch einmal holen. Als etwa zehn Minuten verstrichen waren, traten die Polizisten wieder aus dem Haus. Signore Giorgio begleitete sie zu ihrem Wagen und übersah dabei die tiefen Furchen im Kies, die sie verursacht hatten.
Jetzt entdeckte Markus auch Lucas, er hüpfte auf dem Boden herum und tat, als suche er Futter und finde auch welches. Dann stiegen die Polizeibeamten in den Wagen. Giorgio winkte ihnen nach und blieb so lange am Eingang stehen, bis der Polizeiwagen das Grundstück des Residence verlassen hatte.
Da tauchte auch schon Lucas auf der Balkonbrüstung auf. »Neuigkeiten über Neuigkeiten!« rief er atemlos. »Sie haben den gestohlenen Wagen.«
»Nein!« rief Markus überrascht. »Wo haben sie ihn gefunden?«
»Bei Grado haben sie die Burschen geschnappt.«
»Ja, aber wieso? Haben sie den Wagen nicht umlackiert?«
»Aber ja doch. Er war plötzlich weiß, und sie fuhren mit zurückgeschlagenem Verdeck. Das war ihr zweiter Fehler.«
»Und was war der erste?«
»Die Burschen hatten zwar die Farbe des Autos gewechselt, aber vollkommen vergessen, andere Sachen anzuziehen. Der eine hatte das rotweißgestreifte T-Shirt an und der andere die blaue Schirmmütze mit der Goldstickerei auf dem Kopf.«
»Ich habe sie nicht für so dumm gehalten«, sagte Markus.
»Ich schon, sie haben sich bereits hier viel zu auffällig benommen. Man konnte ihnen ansehen, was sie vorhatten.«
»Jetzt ist mir gleich besser«, sagte Markus. »Jetzt würde ich gern schwimmen gehen, wenn ich könnte.«
»Ich auch«, sagte Lucas.
11
Nichts ist in den Ferien so traurig wie die halbgepackten Koffer für die Heimfahrt. Frau Bergmann hatte die Schränke schon geleert, was noch nicht in den Koffern war, lag auf Stühlen und Betten herum.
Im Wohnzimmer stand ein Korb mit Reiseproviant, den Kathrin stets im Auge behielt, um ihn vor den gierigen Zugriffen ihrer Schwester Stefanie zu bewahren. Herr Bergmann erledigte im Büro bei Giorgio das Finanzielle und wurde hernach von ihm an die Bar zu einem Kaffee eingeladen. Ein Espresso, fand Herr Bergmann, sei jetzt das richtige.
Markus war mit Lucas auf der Suche nach Anne, die nirgends aufzustöbern war. Die Zwillinge blieben mit ihren Eltern noch eine Woche länger.
Statt Anne traf Markus Marie, die wiederum irgendetwas Hausähnliches mit Ernst baute. Die Grundrisse des Gebäudes konnte man anhand der aneinandergereihten Muscheln schon erkennen.
»Habt ihr Anne gesehen?« fragte Markus die beiden. »Ich nicht«, antwortete Ernst.
»Sie muß hier irgendwo sein«, vermutete Marie. »Sie geht immer gern in Richtung Leuchtturm.« Der Leuchtturm war gut zwanzig Minuten entfernt, wenn man schnell ging. Jetzt, im milchigen Licht des spätsommerlichen Morgens schien er sehr fern.
»Da kann ich nicht mehr hin«, sagte Markus niedergeschlagen. Dann wandte er sich an Marie. »Richtest du ihr aus, daß ich sie gesucht hab? Und viele Grüße, und ich schreib ihr bald.«
»Gut, mach ich. Ich weiß nicht, warum sie verschwunden ist.«
»Vielleicht will sie dir keinen Abschiedskuß geben«, scherzte Ernst.
»Hör auf mit diesem Blödsinn.« Markus war sehr wütend über diesen dummen Witz. Am liebsten wäre er auf Ernst losgegangen. Und er tat das nur nicht, weil die Mutter von Ernst in der Nähe war und weil er diese Frau auch sehr gern hatte. Er wollte ihr nicht weh tun. Mütter leiden, wenn ihre Söhne verprügelt werden. Außerdem war sein Finger noch immer in Gips.
»Also dann!« Traurig ging Markus zurück, verabschiedete sich noch von Frau Müller, der Mutter von Ernst. Ehe sie den weiten und nun fast schon leeren Strand verließen, bat Lucas Markus noch um einen Augenblick Geduld.
»Wozu?«
»Ich möchte noch ein kurzes Sandbad nehmen.« Markus wartete geduldig.
»Es ist bestimmt das letzte in diesem Jahr«, sagte Lucas traurig. »Jetzt, da die Abreise unmittelbar bevorsteht, frage ich mich, warum ich diesen herrlichen Landstrich freiwillig verlasse.«
»Ich habe es mir überlegt«, sagte Markus. »Ich denke, du bleibst hier. Du bist die kalten Winter nicht gewöhnt. Und ich denke, ich komme jetzt auch alleine zurecht.«
»Und die Schule?« fragte Lucas.
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