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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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ständig etwas los. Wir sollten mehr Feste feiern, und sei es aus dem einzigen Grund, eine weitere Ausrede zum Spielen zu haben, findet ihr nicht?«
    Während sie über ihren eigenen Witz lacht, erscheint eine junge Frau mit einem Strauß Luftballons an der Tür. »Für mich?« ruft Joan, rauscht mit ausgestreckten Armen quer durch den Raum. »Mein Lieblingsspielzeug«, sagt sie, greift nach den Bändern und wirbelt herum, ähnelt sehr einem glücklichen Clown, bevor sie einem kleinen Kind einen lila Ballon reicht und seinem Bruder einen orangefarbenen.
    Ich bin von dieser Szene verzaubert. Da steht sie, ganz aufgekratzt dank einer Handvoll Ballons, eine farbenfrohe Frau in den Neunzigern – nichts ist schwarz und weiß an Joan. Es amüsiert mich, daß nicht ein einziger Ballon rosa ist, eine Farbe, die sie verabscheut, weil sie sie als Kind tragen mußte, während ihre ältere Schwester das begehrte Blau bekam. Kein Wunder, daß sie für das Weben der Stadien hauptsächlich Primärfarben wählte. Und in dem Moment begreife ich, warum ich von diesem Bild fasziniert bin. So erstaunt ich auch bin, diese Übereinstimmung wahrzunehmen, mehr noch bin ich von Ehrfurcht erfüllt, daß Joan weiterhin die Wahrheit und Gültigkeit ihrer durch Mühen erworbenen Stärken demonstriert – Hoffnung, Willen, Zielbewußtheit, Kompetenz, Liebe, Generativität und natürlich Weisheit. Mit all diesen Menschen um sie herum, die um einen Moment ihrer Aufmerksamkeit wetteifern, kommt mir der Gedanke, daß Joan irgendwie in der Generativität steckengeblieben ist – so begierig darauf, ihre Lebenslust weiterzugeben, in dem vollen Bewußtsein, daß der Einfluß der Lehrerin nie endet.
    |180| »Ich bin so froh, daß so viele von euch heute spielen wollten«, sagt sie und verteilt die Ballons, während ihr eine Kellnerin eine Tasse Tee bringt. Nachdem Joan zwei Zuckerwürfel hineingetan hat, rührt sie um, sie blickt nicht auf, sondern setzt die Unterhaltung mit einem bärtigen, bebrillten Mann fort, der sie offensichtlich nach den beiden letzten Stadien gefragt hat und ihr aufmerksam lauscht.
    »Es gibt Verluste«, sagt sie. »Unser Körper nutzt sich ab, unsere Gedanken kommen langsamer. Aber unser Lebenszyklus ist unsere kreativste Anstrengung. Wir können nicht aus ihm ausbrechen, richtig? Wir müssen darum kämpfen, das ganze Leben lang ein Gefühl der Teilnahme zu haben. Wir müssen das Alter schätzen«, fährt sie fort, »aber wir dürfen uns nicht in Nostalgie suhlen. Die Freude des Verbundenseins würdigen, ohne besitzergreifend zu sein.«
    »Du bist ein Original, Joan«, sagt er, schüttelt sowohl erstaunt wie auch zustimmend den Kopf.
    »Eigentlich nicht«, antwortet sie mit voller und zuversichtlicher Stimme. »Wenn ich meine älteren Freunde betrachte, sehe ich, daß ihr Leben oberflächlich ziemlich ereignislos wirkt. Aber die meisten von ihnen wissen, wenn man sie auf die Probe stellt, worauf es wirklich ankommt. Jeder hat Funken der Weisheit und originelle Gedanken in sich vergraben, meinst du nicht? Tief in jedem Leben, egal wie stumpfsinnig oder kraftlos es sein mag, geschieht etwas Immerwährendes.«
    »Ich bin ganz deiner Meinung«, sagt der Mann. »Nur ist es so, daß manche Menschen, wie du, ein Forum finden, während andere das nicht tun.«
    »Da hast du recht. Und was noch schlimmer ist, die Menschen neigen dazu, das Alter auszunutzen. Man muß ein starker alter Mensch sein. Dadurch, daß ich vor kurzem zu meinem Lektor gefahren bin, habe ich bewußt eine Aussage gemacht. Ich habe gelernt, mich auf meine Vergangenheit und |181| das, was ich getan habe, zu stützen, wenn ich den nötigen Eindruck machen will.«
    Mehrere Leute haben sich um sie versammelt, während sie weiter improvisiert. Warum hat niemand für eine Band gesorgt? denke ich. Wir sollten alle tanzen! Und doch tanzt sie ohne Musik – tanzt mit ihren Augen und ihren Gesten, kann nicht still bleiben, so belebt, wie sie von all dem Gewusel ist. Sie bewegt sich, als sei sie auf einem Ball, steckt sich dabei Schnittchen in den Mund und hält gelegentlich inne, um alles in sich aufzunehmen. »Gib mir ein bißchen Ekstase«, hat sie mich von Zeit zu Zeit gebeten.
    »Was ist das?« fragte ich dann.
    »Das ist einfach nur der Reiz des Schönen. Man kann es nicht erzwingen. Es ist ein Verlauf, kein Ziel. Freude kann ein Ziel sein, aber Ekstase nicht. Es geschieht, wenn man an den Punkt kommt, wo alles vollkommen befriedigend ist, genau wie man es wollte, wo man

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