Spaziergang im Regen
kannte. Trotzdem war Shara dankbar, dass Jessa es ihr leichter machen wollte, indem sie das beiseiteschob, was zwischen ihnen vorgefallen war, und sie so zusammen die Reise antreten konnte.
»Ja. Ja, das wirst du.«
»Derek geht’s gut.« Sharas Stimme drang in Jessas Gedanken. »Er schmollt immer noch.« Vor allem, weil ich gestern Nacht nicht mit ihm schlafen wollte – obwohl er meine Beteuerung, krank zu sein, kaum anzweifeln konnte, wo ich doch nach paar Happen von dem Thai-Essen über seine Schuhe gekotzt habe. »Aber er plant nicht mein Ableben oder so was in der Art. Er hat mich sogar zum Flughafen gebracht.«
Jessa nickte. Also waren sie noch immer ein Paar und haben es bestimmt gestern Nacht miteinander getrieben, und danach durfte Derek dann mit ihr in den Armen einschlafen. Sie konnte es nicht über sich bringen, etwas Belangloses oder Zustimmendes zu sagen, also fragte sie stattdessen: »Möchtest du was zu trinken oder zu essen? Ich habe verschlafen und hatte keine Zeit fürs Frühstück, und jetzt sterbe ich fast vor Hunger.«
Shara fragte nicht, warum Jessa verschlafen hatte oder wie schwer es ihr gefallen war, in der Nacht zuvor einzuschlafen.
Kapitel 14
E s war Donnerstagmorgen und Shara war erschöpft. Sie waren am späten Montagnachmittag auf dem John F. Kennedy Flughafen eingetroffen, und Shara musste am nächsten Tag um halb sieben in der Früh im Fernsehstudio sein, um ein Interview zu drehen. Danach ging sie mit Jessa zu einem ersten Treffen ins Lincoln Center, bevor sie dann zu einem Studio in Queens fuhr, um ein Video zu filmen, das in der ›Hinter den Kulissen‹-Dokumentation benutzt werden würde, sobald der Film über Jessa vor der Veröffentlichung stand. Das einzige, was ihre durch die Zeitumstellung durcheinandergebrachte Stimmung an dem Nachmittag aufheiterte, war die Neuigkeit, dass der vorläufige Filmtitel Maestra war, was sie perfekt fand. Sie aßen mit hohen Tieren von Jessas Plattenfirma im Le Cirque zu Abend und kamen erst kurz vor Mitternacht erschöpft und leicht angesäuselt wieder zur Loftwohnung zurück.
Der zweite Tag war genauso vollgestopft gewesen: Jessa hatte sie morgens um fünf geweckt, damit sie im Central Park joggen konnten, wobei sie von einem stämmigen und, was sie leicht beunruhigte, offensichtlich bewaffneten Mann namens Brad begleitet wurden. Es war unbestreitbar bizarr, von einem Chauffeur zum Joggen gefahren und abgeholt zu werden, aber Shara war mittlerweile an so vieles in der Unterhaltungsbranche gewöhnt, dass sie sich nicht mehr dabei dachte, als einfach nur ihr Glück zu preisen, dass das Mineralwasser offenbar im Preis mitinbegriffen war.
Nach dem Frühstück stand eine Probe mit Orchester und Chor auf dem Programm, gefolgt von einem Mittagessen mit einigen finanziellen Förderern. Danach gab es eine weitere Probe, dann Tee im Plaza Hotel mit dem Musikdirektor und der Ersten Geige, was allerdings eher eine zweistündige technische Diskussion war, in der sie die Partitur eingehend studierten und auf Kopien selbiger Notizen machten. Obwohl Shara diesen Vorgang sehr interessant fand, war sie froh, als Jessa mehrere Einladungen für den Abend höflich ablehnte, mit der Begründung, dass sie früh zu Bett gehen wollte.
Abgesehen von den Proben und dem Treffen im Plaza schien ständig jemand an Jessas Seite zu sein und ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Spätestens Mittwochnachmittag musste Shara mit sich kämpfen, um diese Leute nicht anzufahren, Jessa endlich mal in Ruhe zu lassen.
Als nun am Donnerstag um sieben Uhr morgens das Telefon klingelte, vergrub Shara ihren Kopf unter dem Kissen. Aber da sie ja Jessas Leben nachvollziehen wollte, hievte sie sich aus dem Bett und ins Badezimmer, weil sie herausfinden musste, wer warum angerufen hatte – vorausgesetzt, es hatte sich um einen geschäftlichen Anruf gehandelt.
Sie stöhnte, als sie beim Trockenrubbeln ihrer Haare im Spiegel ihre verschlafenen Augen erblickte. Sie brauchte mindestens noch zwei Stunden Schlaf, bezweifelte aber nicht, dass Jessa schon wieder fürchterlich putzmunter war, obwohl sie zur gleichen Zeit ins Bett gegangen waren. Dass Jessa eine Frühaufsteherin war, war genauso beunruhigend wie die Art und Weise, wie sie mit ihr flirten und ihren Hormonhaushalt in Aufruhr versetzen konnte, ohne auch nur das kleinste Gewissensbisschen zu zeigen. Sie ging nie so weit, dass Shara dagegen protestieren konnte, aber weit genug, um deutlich zu machen, wie sehr sie sich von
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