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Spaziergang im Regen

Spaziergang im Regen

Titel: Spaziergang im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Barnard
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ihr angezogen fühlte.
    Als Shara einmal gefragt hatte, warum sie das tat, hatte sie erklärt: »So zu tun, als würde ich nicht empfinden, was ich empfinde, wäre eine Lüge. Ist dir das unangenehm?«
    Shara hatte vor ihrer Antwort kurz nachgedacht. Was sie fühlte war nicht Unbehagen oder sonst etwas Negatives. Durch Jessas offene Zuneigung, in allem außer körperlichem, fühlte sie sich . . . geschätzt. »Nein«, hatte sie leise geantwortet, »ist es nicht.«
    »Guten Morgen.« Jessa schaute nicht von der New York Times auf, aber Shara konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören.
    »Ist er das?« fragte Shara mürrisch und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen, von dem sie wusste, dass Jessa ihn für sie gekocht hatte.
    »Finde ich schon. Ich bin hier mit einer umwerfenden Frau in einer phantastischen Wohnung in einer der besten Städte der Welt –«
    »Hör auf, dich lustig zu machen.«
    »Na gut, die Wohnung ist nur toll, nicht phantastisch, und die Stadt zeigt sich im Sommer wirklich nicht von ihrer besten Seite, aber die Frau ist eindeutig umwerfend.«
    Shara ließ sich Jessa gegenüber in einen Stuhl fallen und schloss die Augen, während sie an ihrem Kaffee nippte. »Ich glaube, du brauchst eine Brille«, sagte sie, als sie ihre Augen wieder öffnete.
    Jessa senkte die Zeitung und schaute zu Shara hinüber. Shara hatte kein Make-up aufgetragen, aber ihre Lippen waren weich und rosa, ihre Wangen waren leicht von der Dusche gerötet, und ihre Augenlider hingen noch schwer vom Schlaf – oder von den langen Wimpern. Jessa fand, dass ihre leicht mürrische Miene sie noch bezaubernder machte. »Mit meinen Augen ist alles in Ordnung«, sagte sie nur.
    Die Wertschätzung in Jessas Blick und Worten veranlasste Sharas Bauch zu einem kleinen Salto, und sie senkte den Blick auf ihre Tasse. »Danke.« Sie hörte kein Papierrascheln, weshalb sie wusste, dass Jessa sie weiterhin anschaute. Um sie beide abzulenken fragte sie: »Wer hat denn so früh schon angerufen?«
    »Lisa. Sie kümmert sich gerade um die Verhandlungen für meine erste Filmvertonung. Sie kommt morgen her und bleibt wahrscheinlich bis nach dem Konzert am Samstagabend. Vielleicht kommt sie am Sonntag mit uns nach Toronto und bleibt dort auch ein paar Tage. Aber hauptsächlich haben wir über die Filmmusik gesprochen. Wenn alles so läuft wie geplant, dann werde ich die erste Schnittfassung nach meiner Reise zu sehen bekommen.«
    »Das klingt spannend.« Shara war nun hellwach. Lisa hatte ihr von dem legendären Produzenten und Regisseur erzählt, der von Jessas Kompositionen begeistert war und mit dem Gedanken spielte, ihre Musik für seinen nächsten Film zu benutzen. Aber es ging hier nicht nur um einige extra für den Film geschriebene Stücke, er wollte tatsächlich, dass sie die gesamte Musik für den Film komponierte. Das war eine tolle Nachricht für Jessas Karriere.
    »Ja, das ist es.« Aber sie klang nicht sehr begeistert. Sie legte die Zeitung beiseite und ging zur Fensterwand der Wohnung, um auf den frühmorgendlichen Verkehr in TriBeCa hinabzuschauen.
    »Was ist los?« fragte Shara. Jessa war zwar berühmt für ihre Launenhaftigkeit, aber Shara hatte einen gesunden Respekt vor ihrer professionellen Geduld entwickelt. Trotz all der Ansprüche, die an ihre Zeit gestellt wurden und die im direkten Gegensatz zu den Vorbereitungen auf ihr Debüt mit den New Yorker Philharmonikern am Abend standen, war Jessa stets charmant und geduldig, und erst am vorherigen Abend hatte sie sich zum ersten Mal höflich aus der Affäre gezogen, um nicht einen weiteren Abend in Gesellschaft von Fremden verbringen zu müssen. Sie hatte Shara auch erzählt, wie dankbar sie für den Verlauf ihrer Karriere war, vor allem, da sie ihr vor acht Jahren fast in Fetzen um die Ohren geflogen wäre. Es war so ganz und gar nicht ihre Art, auf eine Gelegenheit dieses Ausmaßes so gleichgültig, ja fast ablehnend zu reagieren.
    Am Abend vorher hatten sie sich Essen in die Wohnung kommen lassen und es in fast vollkommenem Schweigen gegessen, während sie beide mit den Gedanken den Ereignissen eines unmöglich vollgestopften Tages nachhingen. Danach folgten sie Jessas Vorschlag und spazierten durch TriBeCa und SoHo. Sie tranken in einem Lokal ein Glas Wein und gingen dann zurück zur Wohnung, wo sie es sich bei Musik gemütlich machten und ab und an über Musik oder anderes sprachen. Jessa konnte stundenlang schweigen, und Shara genoss die Stille zwischen ihnen

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