Spaziergang im Regen
Derek alles noch gut gelaufen?« Sobald sie die Frage ausgesprochen hatte, geriet ihr Magen ins Schlingern. Wollte sie die Antwort wirklich hören? Wollte sie hören, dass Shara und ihr Freund, ihr Verlobter, sich vertragen hatten und sie zum Abschied miteinander gebumst hatten, während Jessa allein und schlaflos in ihrer Wohnung lag?
Shara und Jessa hatten nicht bedacht, dass Derek annehmen könnte, dass sie im Haus wären. Leider versetzte es einen Mann nicht gerade in gute Laune, wenn er seine Verlobte um halb elf abends in einem dunklen Haus mit einer Lesbe allein vermutete. Vor allem, wenn besagte Verlobte gerade vier Tage mit derselben Lesbe in einer einsamen Hütte verbracht hatte. Das Haus erschütterte fast bis auf die Grundmauern, angesichts der Wucht, mit der Derek die Haustür hinter sich zuknallte.
»Ich . . . Ich gehe jetzt lieber.« Sharas Stimme war heiser, als hätte sie sie eine lange Zeit nicht benutzt.
Ihr Timbre tanzte auf Jessas Nervenenden herum, aber sie brachte es fertig zu nicken. »Willst du, dass ich mit dir . . . mit dir reinkomme?«
»Nein, ist schon gut. Er wird sich wieder beruhigen. Er ist wütend, weil er sich vernachlässigt fühlt, aber er wird begreifen müssen, dass . . .« Sie beendete den Satz nicht, weil sie nicht sicher war, was sie Derek begreiflich machen wollte.
Jessa gab widerwillig nach und beschloss zu fahren, aber erst musste Shara versprechen, ihr Bescheid zu geben, ob Derek sich wieder gefasst hatte. »Ich fahre zu dem Starbucks in Hampstead Heath, keine zehn Minuten von hier, und ich werde nicht eher nach Hause fahren, bis du mir eine SMS geschickt oder mich angerufen hast, dass alles in Ordnung ist.«
Eine halbe Stunde und einen sehr großen Masala Chai später vibrierte Jessas Handy.
»Hallo?«
»Es ist alles in Ordnung, Jessa, du kannst nach Hause fahren. Ich hätte schon früher angerufen, aber ich wollte allein sein, und Derek war im Zimmer.«
»Wo ist er denn jetzt?«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich was Thailändisches essen wollte. Will ich zwar nicht, aber so ist er für mindestens eine halbe Stunde aus dem Haus.« Jessa konnte ein süßsaures Lächeln in ihrer Stimme hören.
»Ich sitze vorm Starbucks, in Dusty, mit meiner zweiten Tasse Chai und einem klebrigen Plätzchen.«
»Jessa, du hattest seit vier Tagen überhaupt kein Kaffein mehr! Bei all dem Tee und dem Zucker wirst du die ganze Nacht über kein Auge zutun.«
»Daran gibt’s nichts auszusetzen, die ganze Nacht kein Auge zuzutun«, erwiderte Jessa mit leiser, beinahe rauer Stimme.
»Nicht mal, wenn du für den folgenden Tag einen Überseeflug gebucht hast?« Die Veränderung in Jessas Stimme hatte Shara einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt.
»Ich will dich, Shara.« Die Worte versetzten Shara sofort in Erregung, und sie sog hörbar die Luft ein. »Wenn es nach mir ginge, würde ich dich die ganze Nacht lang lieben . . . Wir würden völlig erschöpft am Flughafen ankommen, und du würdest noch von Nachbeben erzittern, weil du so hart gekommen bist.«
»Oh, Gott, Jessa, bitte lass das«, bettelte Shara, aber ihr Körper war von dem sexuellen Verlangen angespannt, so heftig, dass es sie erbeben ließ, und ihre Hand umklammerte den Hörer so fest, dass sie sich hinterher wunderte, dass das Plastik nicht zerbrochen war.
»Was lassen? Dir sagen, was ich fühle? Ist es dir unangenehm zu wissen, wie sehr ich dich will? Stößt dich der Gedanke ab?« Shara sagte nichts. Was sie fühlte, war keine Abscheu. »Oder ist es dir unangenehm, von mir zu hören, was du selbst fühlst? Weißt du, wie es für mich war, dich zu küssen, Shara? Ich habe deine weichen Lippen an meinen gefühlt, deinen warmen Mund, wie er gierig meine Zunge in sich aufnahm, deine Zunge, wie sie meine streichelte, deinen Körper, der sich gegen meinen drückte, und deine Hand auf meiner Brust, und es war das intensivste sexuelle Erlebnis meines Lebens.« Ein Wimmern kam von Shara. »In deinen Armen zu sein fühlte sich einfach richtig an, als wäre dort seit ewigen Zeiten mein angestammter Platz. Und als es geschah, sagte mir meine Seele, dass du dasselbe fühltest wie ich. Hast du es gefühlt, Shara?«
»Es kommt nicht darauf an, was ich fühle.« Jessa hörte die Tränen in Sharas Stimme. »Mein Leben ist . . . zur Zeit kompliziert, Jessa, und wir, ich . . . bin gerade eine große Verpflichtung anderen gegenüber eingegangen.«
»Derek?« In dem einen Wort offenbarte sie den rohen,
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