Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
das System notwendig macht. Ob Moreau schuldig oder unschuldig ist, ist ein Problem, dessen Lösung das Publikum wohl schwerlich erfahren wird. Sind aber die Beschuldigungen gegen ihn gegründet, so gehört seine Sache vor die Ärzte, ehe sie vor die Richter kommt. Das Papier ist geduldig, und Glauben verdient nichts, als was in sich konsequent und durch rechtliche Zeugen faktisch erwiesen ist. Daß Moreau nicht des Konsuls Freund war, und daß er für sein Vaterland anderes Heil sah und wünschte, ist leicht zu begreifen; daß er sich aber zu einem solchen Komplott mit den Feinden der Nation wegwerfen sollte, konnte man nur von einem Bedlamiten erwarten. Er hätte dadurch seinen tadellosen Charakter, seinen von der Nation geliebten und von ganz Europa geachteten Namen in den Kot geworfen, ohne den geringsten Gewinn für sich selbst als ewige Schande und ohne einigen Anschein von Wohltat für sein Volk. Wäre dieses dennoch, so hätte allerdings der Franzose recht, welcher von ihm sagte: »Moreau hat nur zwischen dem Rhein und der Donau Verstand«. Die beiden letzten Jahrzehnte scheinen dazu geeignet zu sein, dem aufmerksamen Beobachter eine Synopse der Menschengeschichte zu geben; so glänzend und so göttlich und so unsinnig und verächtlich erscheint unser Geschlecht in der nämlichen Periode! Die neapolitanischen Greuel, die Wassertaufen und der Schandfleck bei Rastatt mit den letzten Missionsniederträchtigkeiten sind Erscheinungen, die nur an Größe des Umfangs hinter der Bartholomäusnacht und den Riesenverbrechen der römischen Triumvirn zurückbleiben, und die einem rechtlichen Manne eine momentane Scham abzwingen, daß er ein menschliches Gesicht trägt. Man schwor ehedem sogar in Rußland bei Pichegrüs Namen; und welcher ehrliche Mann wollte den letzten Teil seines Lebens gelebt haben, hätte auch der erste noch zehnmal mehr Glanz und Größe? Mir ist es allemal mehr um den Charakter eines Mannes zu tun als um sein Schicksal. Hat er diesen verloren so wird dieses höchst gleichgültig. Nemesis schlage jeden mit ihrer Rute! Leider möchte man bei einem Blick über die Sache der Menschheit halb frenetisch ausrufen: »Heiliger Aristides, bitte für uns!« Ach der große Moment fand nur ein kleines Geschlecht.
In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von Menschen, und einige segneten sich wirklich ganz laut, daß sie aus der vermaledeiten Freiheit einmal heraus wären, in der man sie blutig so sklavisch behandle. Dies waren ihre eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen Vermögen noch jenseits des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von der ersten muntern, hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegenheit, eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde; denn alles Übertriebene hält nicht lange. Er nahm seine Beispiele nicht bloß von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste und mußte tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Geschlecht verflochten sein. Er machte mit lebhaftem Kolorit ein Gemälde, gegen welches Juvenals
lassata viris
noch eine Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der Ebene wieder einholt, und ich wieder einsteigen konnte. Du weißt, ich habe eben nicht Ursache, geflissentlich den Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muß man ihnen doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie – nicht schlimmer sind als die Männer; und die meisten ihrer Sünden leiden vielleicht noch etwas mehr Apologie als die Sottisen unseres Geschlechts.
Frankfurt muß, dem Anscheine nach, durch den Krieg weit mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich und momentan, der Gewinn ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrat; man baut und bessert und erweitert von allen Seiten, und die ganze Gegend rund umher ist wie ein Paris, besonders nach Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien zu sein. Unser Leipzig kann sich nicht wohl mit ihm messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.
Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der Börse
à mon aise
wäre, würde ich vermutlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist eine
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