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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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Alkoholikern oder sonst einer Selbsthilfegruppe.
    Â»Wenn das vibriert hat und ich mit Leuten zusammen war«, erzählt Alex weiter von der Zeit vor dem digitalen Fasten, »und es mir peinlich war zu gucken – gucken musste ich –, da bin ich immer kurz aufs Klo gegangen, um zu gucken, was da für ’ne Mail gekommen ist. Die war natürlich in neunzig Prozent der Fälle Blödsinn, aber ich musste gucken!«
    Das sei ihm mit der Zeit immer unheimlicher geworden. Er hänge ja schon in seiner Redaktion neun Stunden pro Tag am Rechner wie am Tropf. Danach sei er meist nach Hause gefahren und habe sofort wieder den Rechner hochgefahren. Oft habe er seinen Kollegen um halb eins noch Mails geschickt, aber gleichzeitig nicht verstanden, warum. »Ich habe mich zu Hause benommen wie ein Pegeltrinker. Ich habe den BlackBerry auf den Schuhschrank gelegt, und wenn ich zum Klo gegangen bin, hab ich dann immer heimlich geguckt, damit es meine Frau nicht sieht.«
    Der hat wirklich ein Problem, denke ich, als ich Alex zuhöre. Um gleich im nächsten Moment schmerzhaft vom hohen Ross zu fallen und festzustellen, dass mir dieses Problem ja leider auch nicht ganz unbekannt vorkommt. Auch wenn wir zu Hause keinen Schuhschrank haben, kann ich mich an viele Situationen erinnern, in denen es mir ähnlich ging wie Alex. Alex hat wenigstens die Konsequenzen daraus gezogen und sich für ein halbes Jahr offline entschieden, wie er es nennt. Weil er sehen will, was es mit ihm macht, ob er es schafft und überhaupt funktionsfähig ist, bei der Arbeit und zu Hause.
    Dazu muss man wissen, dass Alex Redakteur im Feuilleton und dort für die freien Themen zuständig ist. »Also für alles und nichts.« Im Gegensatz zu den meisten seiner Redaktionskollegen bearbeitet er keinen festen Bereich wie Theater, Kunst, Literatur oder Film. Seine Kollegen können sich, wenn ihn ausnahmsweise mal nichts Tolles einfällt, an vorausplanbaren Erscheinungsterminen oder Premieren entlanghangeln. Er ist permanent selbst auf der Suche nach Themen, weshalb er täglich nervös und hungrig im Netz umhergestreift ist, ein digitaler Jäger und Sammler von Themen. Und das hat ihn auch zu einem Fan des Internets gemacht.
    Denn Alex ist alles andere als ein Internetskeptiker. Er verdammt das Netz nicht alarmistisch wie sein Kollege Frank Schirrmacher von der FAZ, der ja bereits um die menschliche Hirnstruktur fürchtet und durch das Netz die abendländische Kultur gefährdet sieht. Nein, ohne Internet wäre Alex’ Arbeit kaum machbar und er ziemlich aufgeschmissen. Sich in dieser Position für ein halbes Jahr ohne Internet zu entscheiden ist also entweder mutig – oder ziemlich bescheuert.
    Â»Ich mache all das nicht, weil ich das Internet doof finde. Im Gegenteil, ich verbringe den großen Teil meiner wachen Zeit im Netz, weil ich es großartig finde. Allein die Homepage des Guardian ist wie ein Bergwerk voller Goldadern. Und natürlich ist Google auf der einen Seite eine böse Firma, aber auf der anderen Seite bin ich Google unendlich dankbar, dass die Suchmaschine die Welt für mich ordnet. Ich hatte nur irgendwann das Gefühl, dass ich mir im Netz selbst abhandenkomme, dass es mich schluckt, und das war mir unheimlich«, sagt Alex.
    Dann erzählt er mir vom 1. Dezember vergangenen Jahres, dem Tag, als er seinen BlackBerry unter Zeugen bei der IT-Abteilung der SZ abgegeben hat. Die dort arbeitenden Kollegen hätten ihn völlig entgeistert angeschaut. »Alles in Ordnung, Herr Rühle? Das ist doch ein Scherz.«
    Ist es nicht. »Ich habe gesagt: ›Ich komme erst am 31. 5. wieder, und vorher geben Sie ihn mir bitte auch nicht.‹ Ich dachte auch, vielleicht bin ich völlig unzurechnungsfähig und bettele denen da den BlackBerry ab.«
    Als er am gleichen Tag die Internet-Sachbearbeiterin der SZ anruft und darum bittet, sämtliche Mail- und Internetprogramme auf seinem Dienstrechner zu sperren, entgegnet die ihm reflexartig, das dürfe man doch gar nicht. Alex hat eine Weile gebraucht, um ihr glaubhaft zu machen, dass sein Experiment mit der Chefredaktion abgesprochen ist.
    Â»Ich habe mir am Anfang selbst misstraut, weil ich im Urlaub schon öfter versucht hatte, für kurze Zeit ohne Internet auszukommen, aber ohne Erfolg.«
    Es ging nicht anders: Auch auf seinem PC zu Hause hat sich Alex Safari, Mozilla und Outlook von einem Freund sperren

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