SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Kopfschmerzen, nehme ich halt eine Tablette. Bin ich müde, dann trinke ich halt einen Kaffee, statt schlafen zu gehen.
Sprenger spricht weiter, aber ich höre nicht mehr richtig zu. Was er mir da sagt, weià ich ja irgendwie auch alles, aber im Alltag bekomme ich es trotzdem nicht geregelt. Grenzen setzen. Einfach mal Handy und Computer ausmachen, nicht mehr ans Telefon gehen. Klingt einfach. Ist es aber nicht.
Ich frage mich, ob ich da vielleicht ein gewisses Suchtpotenzial im Umgang mit Handy und Internet entwickelt habe. »Man spricht ja mittlerweile von einer sogenannten Internetsucht«, erklärt mir der Doktor. Sucht sei ja medizinisch definiert. Und ein Definitionskriterium sei der Kontrollverlust. Also dass man nicht mehr Herr darüber sei, wie oft man welche Mengen konsumiere. »Und wenn Sie tatsächlich schon in so einem Stadium sind«, sagt Dr. Sprenger mahnend, »dann hätten wir eine Suchtentwicklung, und dann müsse man tun, was man tun muss bei einer Sucht. Man muss erst mal entgiften.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und frage meinen Therapeuten: »Bin ich süchtig?«
»Sie haben ja gerade ein Suchtsymptom geschildert, nämlich einen Kontrollverlust über das Verhalten oder die Substanz. Aber in Ihrem Fall ist es das Verhalten. Und die einfachste Methode, um herauszufinden, ob Sie wirklich süchtig sind, ist, sich tatsächlich mal eine Zeit lang ein strenges Muster zu machen und zu sagen: âºEine bestimmte Zeit benutze ich meinen PC und mein Handy, und da bin ich erreichbar, zu einer anderen Zeit nicht.â¹ Schauen Sie, was passiert. Wenn Sie süchtig sind, kommen Sie auf Entzug. Sie werden immer unruhiger und halten es nicht mehr aus. Sind Sie schon so weit?«
Ich muss schlucken, denn ich glaube, ich bin längst so weit. Aber ich gebe es nicht zu und antworte stattdessen unsicher: »Ich hoffe, nicht.«
»Probieren Sie es aus«, gibt der sympathische Psychiater mir mit auf den Weg.
Autsch!
Hartmut Rosa: Viele von uns verhalten sich wie Suchtkranke: Wir suchen ständig nach dem nächsten Kick. Gelingt es uns mal, im Kurzurlaub oder an Feiertagen, uns aus dem täglichen Hamsterrad der auf uns einprasselnden Optionen auszuklinken, haben wir plötzlich Entzugserscheinungen. Wer das ganze Jahr, also 365 Tage lang, immer unter Strom steht â noch schnell Mails checken, kurz jemanden anrufen â, der kann dieses Verhalten nicht so schnell ablegen. MuÃe braucht Zeit!
Diese Zeit nehmen wir uns aber nicht mehr; wir werden, um es mit Goethes Zauberlehrling zu sagen, die Geister nicht mehr los, die wir riefen. Aber es hält keiner aus, unter Dauerstrom zu stehen. Irgendwann gerät jeder in einen Erschöpfungszustand. Die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, die Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer. Wir hoppen von einem Ereignis zum nächsten. Wir sind dann kaum noch in der Lage, längere Projekte durchzuzie hen, von Kreativität gar nicht zu reden. Beim Individuum führt das zu Burn-out-Zuständen, bei Organisationen zu organisatorischem Kammerflimmern. Wirklichen Tiefgang und Innovationen bekommt man nicht durch totale Flexibilität, Kommunikation und schnelles Reagieren, sondern durch eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber den kommunikativen Reizen der Umwelt.
Wie viele E-Mails ich heute bekommen habe? Ich weià es tatsächlich nicht. Die habe ich schon seit Tagen nicht mehr abgerufen. Ich komme einfach nicht mehr nach. Manche Leute schreiben mir gar keine Mails mehr, worüber ich ganz froh bin. Ich denke, wir müssen uns heute mit dem Lebensgefühl arrangieren, dass wir die Berge auf unserem Schreibtisch nicht mehr kontrollieren, geschweige denn abarbeiten können. Durch diese digitalen Medien und Ãbertragungsmöglichkeiten haben wir in den letzten Jahren eine gewaltige Explosion an Optionen, an Möglichkeiten, besonders auch an Anschlussmöglichkeiten gesehen. Es kommen neue Kommunikationsmittel hinzu, die alten bleiben. Es gibt ja nicht nur E-Mail und SMS, sondern auch Facebook, Skype, Twitter et cetera.
(M)ein Leben ohne Handy und Internet? â Digitales Fasten
Eine Weile ganz ohne Internet und Handy auskommen ⦠Ob das eine Lösung für mich ist? Ich hab lange nachgedacht über den Ratschlag meines Therapeuten, habe das Für und Wider gegeneinander abgewogen. Klar, eine kontrollierte Abstinenz würde mir sicher guttun. Vielleicht wäre ich dann ruhiger
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