SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
frage mich insgeheim, wie oft Frau Mei-Pochtler wohl mit ihren drei Töchtern gespielt hat. In der beschleunigten Welt, von der sie mir gerade erzählt, kann dafür ja eigentlich nicht allzu viel Platz sein. Denn streng genommen ergibt sich daraus ja kein Wettbewerbsvorteil, im Gegenteil.
In der Welt von Frau Mei-Pochtler gibt es nur zwei Typen von Menschen: die Langsamen und die Schnellen. Sie persönlich bevorzuge die Schnelligkeit und komme mit diesem Tempo sehr gut zurecht, sonst hätte sie es nicht gewählt.
»Ich liebe die Intensität. Notfalls schlafe ich halt nur vier Stunden. Und ich versuche, das so gut wie möglich mit der Familie zu verbinden. Dabei habe ich sehr viel Unterstützung â durch meinen Mann, durch meine Mutter, die mich bei den Kindern unterstützt, und durch meine extrem tüchtige Sekretärin, durch meine Mitarbeiter. Im Grunde genommen wird mein persönliches Zeitreservoir immer wieder sehr groÃzügig von meinem ganzen Team aufgefüllt â¦
Ich liebe Zeit, ja. Im weitesten Sinne, ich finde Zeit so ein wichtiges Thema. Aber bin selber nicht besonders gut im Umgang mit der Zeit.« Am Ende sei sie doch immer zu knapp für das, was sie mit ihrem Leben gern noch machen würde. Es gebe so viele Themen, so viele Probleme, die sie gern noch lösen wür de. Da wünschte sie sich manchmal schon, dass der Tag 48 Stun den hätte und man dreimal so lang leben könnte.
Es ist 9.51 Uhr. Wir sind Unter den Linden angekommen, haben aber noch ein paar Minuten. Deswegen dreht der Fahrer noch eine Extrarunde für uns. Es ist ungewöhnlich, dass Antonella Mei-Pochtler zu früh irgendwo ankommt. Ich habe noch genau für eine Frage Zeit. In meinem Kopf geistern aber noch viele herum, doch eine brennt mir besonders unter den Nägeln. Die hat mich schon immer interessiert. Warum macht man so was? Warum wird man Unternehmensberater? Warum?
»Ich bin Unternehmensberaterin geworden, weil ich diesen unglaublichen Drang zur Weltverbesserung habe. Und Beratung ist, wenn man so will, eine minimalinvasive Form der Verbesserung der Welt. Man beschäftigt sich mit wichtigen Problemen. Problemen der Unternehmen, der Konsumenten, aber auch der Menschheit, ja, der Gesellschaft. Dass man als Berater anderen helfen kann, diese Probleme zu lösen. Das hat mir schon immer an dem Beruf gefallen. Und ich glaube, dieser Weltverbesserungsgedanke ist sicherlich ganz wichtig, um die Kollateraleffekte der Beratungstätigkeiten in Kauf nehmen zu können.«
Unternehmensberater als Beschleuniger und Beschleunigung als Weltverbesserung! Das ist mal ein wirklich neuer und, sagen wir mal, interessanter Gedanke ⦠So habe ich das noch nie gesehen. Gern hätte ich ja noch mehr darüber erfahren, wie diese Weltverbesserung konkret aussieht. Doch wir sind leider schon am Ziel angekommen. Und zum Kundentermin von Antonella-Mei Pochtler darf ich nicht mit. Diskretion, das habe ich ja inzwischen gelernt, hat in ihrem Metier oberste Priorität.
Eine eilige Verabschiedung, dann öffnet der Fahrer schon die Tür und reicht Antonella Mei-Pochtler Jacke und Aktentasche. Einen kurzen Moment später ist die Direktorin der BCG bereits im hochherrschaftlichen Gebäude ihres Kunden verschwunden. Sehr lange hatte ich auf dieses Gespräch gewartet. Und jetzt ist es in knapp dreiÃig Minuten einfach so an mir vorbeigerauscht. Ein bisschen bedröppelt sitze ich allein auf der Rückbank und frage mich, was eigentlich hängen geblieben ist. Beschleunigung, Effizienzsteigerung und Wettbewerb sind in den Augen einer der wichtigsten Unternehmensberaterinnen weltweit also so etwas wie das Lebenselixier für Wirtschaft und Gesellschaft. Und nichts und niemand kann sich dem ihrer Meinung nach entziehen.
Was bedeutet das aber für mich und mein Zeitproblem? Muss ich mich damit abfinden, dass die Gesellschaft so nun mal funktioniert? Dass unsere Zukunft unabänderlich im Zeichen ständiger Beschleunigung und Effizienzsteigerung stehen wird? Dass jede Minute meines Lebens und dessen meiner Kinder so ausgefüllt sein muss wie das eines Managers?
Wenn es nach einer Antonella Mei-Pochtler geht, wenn es nach den Verfechtern eines totalen Wirtschaftlichkeitsdenkens geht, nach den McKinsey-, Boston-Consulting- oder Deutsche-Bank-Menschen dieser Welt, ja.
Dann müssten wir jeden Bereich unseres Alltags bewirtschaften, auch unser Privatleben
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