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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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ökonomisieren wie ein Unternehmen, dann müsste jeder Einzelne zur Ich-AG werden, um den Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Schöne neue Welt …

Hartmut Rosa: Ich glaube, dass es viele Räder gibt, die zusammen wirken und ein ineinandergreifendes System der Beschleunigung erzeugen. Zunächst: Wir wollen schnell leben. Ich glaube, dass es eine kulturelle Verheißung von Beschleunigung gibt, bei der Beschleunigung zum Ewigkeitsersatz wird. Die moderne Gesellschaft ist überwiegend eine säkulare Gesellschaft. Das heißt, das Gewicht unserer Lebensführung liegt nicht auf einem imaginären Leben nach dem Tod, sondern auf einem Leben vor dem Tod. Und da sind wir zu der Einsicht gekommen, dass das gute Leben darin liegt, dass es ein reichhaltiges Leben ist. Dass wir möglichst viele und tiefe Erfahrungen und Erlebnisse haben. Und da liegt es nahe zu sagen: Wenn ich doppelt so schnell mache, kann ich zwei Leben in einem unterbringen, ich kann das Erlebnispensum verdoppeln. Die Beschleunigung, die Steigerung der Erlebnisepisoden, ist unsere Antwort auf das Todesproblem geworden. Wir wollen ein ewiges Leben vor dem Tod haben. Irgendwann muss ich sterben. Das weiß jeder von uns. Das mag siebzig, achtzig, neunzig oder vielleicht sogar hundert Jahre dauern, doch bevor es so weit ist, möchten wir noch so viel Welt wie möglich mitnehmen, und das legt Beschleunigung nahe.
    Aber ich glaube, dass dieses kulturelle Prinzip nicht der Hauptantriebsfaktor ist. Es ist schon so, dass die ökonomische Logik eines kapitalistischen Systems Zeit verknappt, in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist Zeit notwendigerweise knapp, ist Zeit Geld, und Geld ist notwendigerweise knapp. Naturgemäß gibt es also in einer kapitalistischen Gesellschaft keine langfristige oder nachhaltige Entschleunigung. Doch nicht nur Kapitalismus und Wirtschaft treiben uns an, sondern überhaupt die Wettbewerbslogik: Wir verteilen alle Güter, alle Positionen, Privilegien, Freunde in einem Wettbewerbssystem nach der Logik der Konkurrenz. Das ist der Hauptantriebsmotor dieser Gesellschaft, und der macht Menschen selbstverständlich auch irgendwie Angst, weil sie ständig das Gefühl haben, sie könnten morgen schon abgehängt sein.
    Was wir momentan sehen können, ist, dass Menschen auf der einen Seite aus dem System herausgeschleudert werden können. Sie werden zwangsentschleunigt, indem sie zum Beispiel dauerhaft arbeitslos sind und von Hartz IV oder so leben müssen. Wir haben also Menschen, die ganz viel Zeit haben, weil sie wirtschaftlich stillgestellt und zwangsentschleunigt sind. Und wir haben die anderen, die sich zu Tode arbeiten, die an ihrem Arbeitsplatz unter immer größeren Zeitdruck geraten, der immer häufiger zum Burn-out und zu Depressionen führt.
    Gelegentlich wird mir gesagt: »Na ja, dieses Beschleunigungsproblem ist ein Eliteproblem.« Das finde ich empörend und auch ein bisschen beleidigend für diese Menschen. Stellen Sie sich mal zwei Stunden zu einer Kassiererin an eine Supermarktkasse. Dann wissen Sie, unter was für einem gigantischen Zeitdruck die arbeitet. Oder auch in einer Bäckerei. Da habe ich neulich die Beschäftigten beobachtet, die gleichzeitig kassieren, bedienen, Brötchen schmieren müssen.
    An nahezu jedem Arbeitsplatz kann man unmittelbar nachvollziehen, was es bedeutet, dass in der Wirtschaft Zeit teuer ist, dass da Beschleunigungsdruck herrscht. Bei Fernfahrern ebenso wie bei sozialen Diensten oder in Krankenhäusern. Vom Pflegebereich wollen wir gar nicht reden …
    Die technischen Beschleunigungsgewinne haben uns in der Geschichte der Moderne natürlich riesige Spielräume eröffnet. Sowohl den Individuen als auch in der politischen Gestaltung. Beschleunigung als Grundprinzip, als Hauptprinzip von Modernisierung, ist per se nicht schlimm, das Problem entsteht dort, wo sie nicht abschließbar ist. In der Geschichte der Moderne, mindestens in den letzten zweihundert Jahren, war die Beschleunigung ein fast durchgängiger, relativ stetiger Prozess. Natürlich gab es immer mal Beschleunigungswellen und auch Widerstände gegen Beschleunigung, aber insgesamt ist das Niveau doch permanent angestiegen. Egal welche Widerstände es dazwischen gab.
    Die letzten Beschleunigungswellen entstanden zum einen durch die Wende, also nach 1989. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die damit zusammenhängenden

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