SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
bis sich jemand bereit erklärt hat, mir zu erklären, was Reuters denn eigentlich genau mit der Zeit anstellt.
Während ich von der U-Bahn-Station Canary Wharf zwischen den Bankentürmen hindurch zum Reuters-Gebäude laufe, fallen mir sofort zwei Dinge auf: die vielen gut angezogenen Menschen, die im Eilschritt an mir vorbeirauschen, und die zahlreichen Uhren, die wie eine Mahnung auf dem Platz stehen, dass Zeit Geld und deswegen nicht zu vergeuden ist. Auf der AuÃenfassade des halbrunden Reuters-Gebäudes laufen auf einem elektronischen Schriftband permanent aktuelle Börsenkurse aus aller Welt. Neben dem Eingang der Zentrale steht ein gigantisch groÃes Display mit den neuesten Nachrichten und Börsenkursen aus aller Welt. Alle dreiÃig Sekunden unterbrochen von einer Tafel mit der Aufschrift: »Immer und überall dabei. Nachrichten in Echtzeit. Jetzt auch für iPhone und BlackBerry. Von Thomson Reuters.«
Als ich das Gebäude betrete, werde ich zuallererst von einem ziemlich förmlich dreinblickenden älteren Herrn in grauer Butleruniform begrüÃt und von ihm keine zehn Meter weiter zu zwei ebenfalls in graue Kostüme gekleideten Damen am Empfang geleitet, die beide einen streng nach hinten zurückgebundenen Dutt tragen. Ich bin etwas irritiert davon, dass die Leute bei Reuters offensichtlich eine spezielle Reuters-Dienstuniform tragen. Damit, mit ihrer roboterhaften Freundlichkeit und dem makellosen Aussehen, erinnern mich alle drei auf Anhieb an Androiden oder die genetisch Selektierten aus der ebenso schicken wie sterilen Welt des Science-Fiction-Films »Gattaca«. Der riesige Bildschirm hinter dem Empfang und die geradezu antiseptisch wirkende Lobby aus Beton, Stahl und Glas tun ihr Ãbriges. Nachdem ich einer der beiden gutaussehenden »Androidinnen« am Empfang mitgeteilt hatte, dass ich einen Termin mit Mark Thompson hätte, einem der leitenden Redakteure und Manager von Reuters, kommt der Butler wieder und weist mir den Weg zu einer keine fünf Meter entfernten Sitzgruppe. Ich würde gleich abgeholt und zu meinem Gesprächspartner gebracht. Alles sehr förmlich hier. Mir ist ein bisschen unheimlich zumute.
Zehn Minuten später sitze ich Mark Thompson gegenüber, in einem gläsernen Besprechungsraum am Rande des legendären Reuters-Newsrooms im fünften Stock der Reuters-Zentrale. Ich bin erleichtert: Thompson trägt, ebenso wie seine etwa zweihundert Kollegen im Newsroom, keine Uniform, sondern Hemd und Krawatte.
Welche Rolle spielt Tempo für Reuters?
»Das Herzstück von Reuters sind nach wie vor Nachrichten«, erklärt Thompson. »Und in diesem Geschäft ist es einfach wichtig, schnell zu sein. Unser Firmenmotto war schon immer, Nachrichten als Erste zu haben. Denn nur das zählt für unsere Kunden. Doch in den letzten Jahren ist das Tempo für unser Business tatsächlich immer wichtiger geworden, weil es auch für unsere Kunden wichtiger geworden ist. Für die kommt es mehr denn je darauf an, alle Informationen, die sie brauchen, sofort zu bekommen. Die stehen unter einem wahnsinnigen Druck, auch ihre Kunden immer schneller zu beliefern. Die Leute erwarten heutzutage einfach, dass alle Informationen, wann immer und wo immer sie wollen, für sie verfügbar sind.«
Bisher kannte ich Reuters nur als gröÃte und wichtigste Nachrichtenagentur der Welt, die international Presse, Funk, Fernsehen und Webseiten mit Nachrichten, Fotos und Filmbeiträgen beliefert. Doch das ist heute kaum mehr als ein Imagefaktor. Das meiste Geld verdient man hier inzwischen ganz woanders. Seit den Firmenanfängen vor 160 Jahren hat Reuters nicht nur für die Presse, sondern auch für die Märkte gearbeitet, also für Unternehmen und Börsenhändler. Doch das Gewicht hat sich inzwischen stark verschoben. Heute werden 95 Prozent der Umsätze mit Dienstleistungen für die Finanzindustrie verdient.
»Eine Menge dessen, was wir als Nachrichtenagentur in unseren Newsrooms weltweit machen«, sagt Thompson, »machen wir, um die Finanzindustrie mit Nachrichten und Informationen zu versorgen, also die Leute, die in den Handelsräumen von Banken, Investmenthäusern, Hedgefonds sitzen: Analysten, Investmentbanker, Rechercheure, Manager von Kapitalgesellschaften et cetera. Erst danach kommen Reporter, Zeitungsredakteure, Fernsehsender und Radiostationen.«
Vor allem für die
Weitere Kostenlose Bücher