SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
wenn auch die Wirtschaft gesund sei. Das sei praktisch so wie zwei Lungenflügel. Deshalb sei es so wichtig und wertvoll, an dem einen zu arbeiten, damit dann der Gesamtorganismus funktionieren könne. Wirtschaft und Gesellschaft könnten nur dann positiv weiterentwickelt werden, wenn es innovative Wettbewerber gebe, die sich immer wieder überlegen: Wie können wir eigentlich bestimmte Themen, bestimmte Probleme besser lösen als andere und das schneller machen und so die Vorteile bekommen? Der allgemeinen Beschleunigung könne man sich nicht entziehen, auch wenn man es wolle.
Mit diesem Denken ist sie keine Ausnahme. In den letzten zwanzig Jahren hat eine regelrechte Umerziehung der Gesellschaft stattgefunden. Der Effizienzgedanke wurde in den Alltag verpflanzt, fast alle Lebensbereiche dem Diktat der Ãkonomie unterstellt und beschleunigt. Städte, Universitäten, Theater, Krankenhäuser sollten schneller, besser und effizienter werden und befinden sich seitdem im Dauerreformzustand. Treibende Kraft dahinter waren oft die groÃen Unternehmensberatungen.
Antonella Mei-Pochtler hat sich selbst in ihrer raren Freizeit diesem Glauben an die Hochleistungsgesellschaft verschrieben. Sie ist eine der Hauptinvestorinnen und sitzt im Aufsichtsrat der Phorms AG, einer Aktiengesellschaft, die Kindergärten, Grundschulen und Gymnasien wie ein Unternehmen, vor allem aber besser betreiben will als der träge Staat. Und damit auch noch Geld verdienen will. Die Zielgruppe der Phorms-Schulen sind ehrgeizige und besorgte Mittelschichteltern, die Angst haben, dass ihre Kinder im globalen Wettbewerb von fleiÃigen Chinesenkindern abgehängt werden könnten und diese deshalb so früh wie möglich in eine gute Startposition bringen möchten. Also werden sie bei Phorms vom Kindergarten an bilingual in Deutsch und Englisch auf die beschleunigte Welt vorbereitet. Leider mussten die ersten Phormsschulen inzwischen wieder schlieÃen. Die finanziellen Zuschüsse des ungeliebten Staates haben nicht ausgereicht.
Ich muss zugeben, dass vieles von dem, was Frau Mei-Pochtler mir gerade erzählt hat, irgendwie logisch, durchdacht, konsequent und überzeugend klingt. Irgendwie. In jedem Einzelfall lassen sich wahrscheinlich viele wirklich gute Gründe für die Beschleunigung und die Effizienzsteigerung finden. Es scheint mir sogar für einen kurzen Moment so, als könne ich mich der Kraft ihrer Argumente nicht länger entziehen. Doch wenn ich diesen Gedanken zu Ende denke, kommt doch in der Summe eine Gesellschaft dabei heraus, die nicht lebenswert ist. Eine Welt, in der alle Lebensbereiche, angefangen bei den Kindergärten, dem Diktat der Ãkonomie und der Effizienz unterworfen sind. Eine Welt, vor der es mir graust und vor der ich meinen Sohn Anton gern bewahren würde.
»Die Beschleunigung ist schon der Megatrend«, wird Mei-Pochtler nicht müde zu betonen. Die Wienerin ist jetzt richtig in Fahrt und offenbar ganz in ihrem Element. Die starke Beschleunigung der letzten Jahre habe verschiedene Ursachen. Sie habe sicher damit zu tun, wie man inzwischen kommuniziere. Man brauche für die Lösung vieler Themen heute einfach weniger Zeit als früher, weil man schneller und intensiver zusammenarbeiten könne. Und dann komme noch der Wettbewerb hinzu. »Das bringt zusätzlich Beschleunigung. Und so haben wir die Beschleunigung der Beschleunigung.«
Es ist 9.45 Uhr. Zwei Drittel unserer Interviewzeit sind vorüber. Um kurz vor zehn muss Antonella Mei-Pochtler in der Berliner Zentrale eines groÃen deutschen Medienkonzerns Unter den Linden sein. Der Spiegel nannte sie mal den »Paradiesvogel« unter den Beratern und das »Glamourgirl« der Boston Consulting Group, weil sie sich, völlig untypisch für ihre lichtscheue Profession, gern auf gesellschaftlichen Events ablichten lässt. Sie selbst nennt es »gesellschaftliche Visibilität.« Die sei in ihrem Job manchmal ja auch ganz nützlich. Na, das sollte sie mal ihren Kollegen erklären. Das hätte mir einige Mühen erspart. Doch die scheinen darauf nicht so viel Wert zu legen.
Nach all den Absagen aus der Welt der Unternehmensberatungen bin ich jetzt sehr froh, dass ich mich nicht habe abwimmeln lassen und hier nun mit einem wirklich hohen Tier der Branche sprechen kann. Frau Mei-Pochtler ist weltweit verantwortlich für das Marketing der zweitgröÃten Unternehmensberatung der
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