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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Letztens hat eine gewisse Julia hier angerufen. Julia arbeitet in einem Marktforschungsinstitut und wollte wissen, was er und ich vom Iglo-Chefmenü hält und halte. Tja, mein Kleiner ist ein richtiger Tausendsassa. Morgen ist ja unser Treffen im »Imperial«, dann kann ich Ihnen noch einiges über meinen Prachtsohn erzählen .
    Telegramm von Mutter Stermann
    Frau Grissemann. Stop. Dirk besser. Stop. Sieht besser. Stop. Kein Brillenträger. Stop. Und sieht besser aus. Stop. Kann »Glocke« auswendig. Stop. Kann jede Frau zum Orgasmus bringen. Stop. Will Ihren Flaschensohn überhaupt nicht kennenlernen. Stop. Blöde Kuh. Stop.
    Telegramm von Mutter Grissemann
    Tisch abbestellt. Stop. Schlampe Stermann. Stop. Christoph Mark inzwischen teure Kontaktlinsen. Stop. Und Haare voller. Stop. Super. Stop. Dirk immer fetter. Stop. Fette Sau. Stop. Wenn Sie mich fragen. Stop. Schwanz von Christoph Mark viel länger. Stop. Sicher länger als der von Ihrem. Stop. Blöde Saukuh. Stop.
    Etwas später:
    Sehr geehrte Frau Stermann,
    verzeihen Sie meine Wortwahl der letzten Briefe. Ich hoffe, Sie nehmen meine Entschuldigung an. Ich bin der gleichen Meinung wie Christoph, dass wir stolzen Mütter einen Neuanfang wagen sollten. Ich selbst bin auch bereit, Ihre Untergriffe zu vergessen. Vielleicht ist es im Sinne einer Annäherung gut, Ihnen, Frau Stermann, einiges über mich und mein unvergleichliches Kind Christoph Mark zu erzählen. Sicher wird Sie interessieren, woher Christoph Mark seine Bildung und seine Liebe für alles Schöne hat. Nun, ich ermöglichte ihm früh den Kontakt mit der Literatur und der klassischen Musik. Brahms, Tschaikowsky, Jacques Brel, Anneliese Rothenberger. Ich seh ihn noch heute vor mir: zweijährig, in der Hand die Partitur von Mozarts »Zauberflöte«, sein seidig-goldnes Haar im Takte hin und her wiegend. Und, liebe Frau Stermann, vergessen Sie niemals die Kraft der Gene, schließlich trägt er meine in sich, und ich sage nicht ohne Stolz: Ich war Souffleuse am Tiroler Landestheater. Auch sein soziales Umfeld ist nur mit dem Wort »hervorragend« zu beschreiben. Sein Vater, mein Mann, der ehemalige Direktor des österreichischen Hörfunks, Moderator des einzigartigen Neujahrskonzerts. Sein Bruder einer der versiertesten Filmkritiker der Welt. Das alles im goldenen Wien. Ihr Sohn Dirk soll ja im Ruhrgebiet groß geworden sein. Dieses einfache Milieu …
    Mit freundlichen Grüßen,
    Mutter Grissemann
    Sehr geehrte Frau Grissemann,
    vielen Dank für Ihren Brief. Auch ich finde, wir schaden der Karriere unserer Söhne nur, wenn wir nicht weiter Kontakt halten. Schön, dass Sie Ihren Fehler auch einsehen. Wissen Sie, Dirk ist ja niemals sitzengeblieben. Mein Sohn erzählte mir, Christoph sei gleich zweimal sitzengeblieben. So was ist in Deutschland ganz selten und wird mit Sonderschule geahndet. Aber in Österreich ist ja alles anders. Mein Gatte übrigens ist der ehemalige Chef der Ratinger Stadtwerke, ein stadtbekannter, kluger, gutaussehender Mann. Dirks Bruder, falls das Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, ist Lyriker und Träger des Stipendiats des Landes Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat übrigens doppelt so viele Einwohner wie Österreich. Ihre kleine Spitze gegen das Ruhrgebiet ist mir nicht entgangen. Wessen Wiege stand hier nicht, gute Frau? Gustaf Gründgens, Robert Schumann, Heinrich Heine, Wim Thoelke. Geht es Christophs Haut besser? Das muss für einen jungen Mann ja schrecklich sein.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Mutter Stermann
    Frau Stermann,
    ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie haben bestenfalls das Niveau einer verbitterten Friseuse. Sich über Christoph Marks Hautunreinheiten auszulassen, zeugt von letztklassiger Primitivität. Christoph Mark besitzt eine wunderschöne schmale Nase, romantische, kluge Augen, und seine Denkerstirn zierte gar manche Illustrierte. Und die Figur eines Ballettänzers – aber immer männlich heterosexuell. Ihrem Dirk werden Kontakte zum homosexuellen Milieu nachgesagt, vielleicht kriegt er mit seiner Figur keine Mädchen mehr. Na ja. Ihr Dirk war, bevor ihn mein Sohn von der Straße geholt hat, Taxifahrer. Ist Taxifahrer nicht ein Beruf für Gescheiterte? Wie schön, dass Sie trotz allem zu Ihrem Sohn Dirk stehen. Andere Mütter verstoßen solche ekligen Kinder und geben sie froh zur Adoption frei. Ich muss jetzt schließen, denn die Blumen auf dem Altar, den ich für Christoph Mark errichtet habe, brauchen frisches Wasser.
    Grüß

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