Spekulation mit dem Tode Kommissar Morry
unser Verhältnis mehr ist als ein kameradschaftliches. Harry ist ein guter Freund, nichts weiter."
Der Mann hätte Nora nicht so gut kennen dürfen. Mit Worten wußte sie ja immer gut umzugehen. Er bemerkte, mit welchen Augen Fleming sie manchmal ansah, und das trotz seiner augenblicklich unangenehmen Situation. Er war ihr rettungslos verfallen. Das war kein Wunder, denn Nora konnte schon einen Mann behexen. Hayes betrachtete den Jungen. Für die Dauer hatte dieser jedenfalls nicht viel bei ihr zu bestellen.m Hayes hob das Glas. Sie tranken. Fleming stürzte den Whisky hastig hinunter und begann mit einem seiner beringten Finger monoton auf die Tischplatte zu klopfen.
„Ich weiß nicht, was Sie von uns wollen?" sagte er plötzlich. Anscheinend hatte ihm der Alkohol Mut gemacht. Seine hellbraunen Kinderaugen sahen den Mann trotzig an.
Hayes lächelte. „Ihr wollt miteinander verschwinden, 'raus aus der Stadt oder gar in ein anderes Land."
Nora zupfte sich den Pulli, der ihr etwas verrutscht war, über die Taille. „Wie kannst du so etwas sagen, Jack? So ein Blödsinn? Ich werde es Jimmy erzählen."
„Ach, laß das nur. Du kannst mir nichts vormachen. Du beißt dir eher die Zunge ab, als daß du das wagst. Außerdem würde ich es Jimmy gönnen, da bin ich ganz ehrlich."
Wieder lag dieser kalte Glanz in seinen Augen, so daß Harry Fleming diesen Blick mied. Ein Schauer lief dem Jungen über den Rücken; dieser Mann schien ihm kalt und berechnend zu sein und vor allen Dingen brutal. Dann dachte er über die Worte nach, die er eben gehört hatte. Daß Jack Hayes so zu seinem Freund North stand, hätte er auf keinen Fall gedacht; aber das konnte ihm nur recht sein. Diese Worte gereichten zur Hoffnung. Als Jack Hayes die Tür aufgestoßen hatte, dachte Fleming, daß alles aus sei. Nun war das Gegenteil der Fall. Es entsprach der Wahrheit — sie hatten sich mit dem Gedanken an eine romantische Flucht getragen, sie wollten eventuell gar nicht wiederkommen. Nora schenkte die Gläser wieder voll. Der Junge zweifelte plötzlich nicht mehr an der Echtheit von Hayes Worten. Ein heißes Gefühl stieg ihm in Hals und Schläfen. Der Mann sah anscheinend unbeteiligt zu dem großen Fenster hin. Er würde in dieser Hinsicht nichts mehr sagen. Es vergehen keine drei Tage, und die beiden werden verschwunden sein, kalkulierte er. Auch Nora schien es, als gäbe es nichts mehr darüber zu sprechen. Sie hatte sich bereits mit dieser neuen, völlig unerwarteten Situation abgefunden. Mit ihren bezaubernd schlanken Händen bot sie teure Zigaretten aus einer Teakholzkassette an. Ihre Nägel waren gepflegt und angenehm getönt. Hayes beobachtete sie dabei. Der Junge mußte wohl seinen Blick gedeutet haben, er seufzte und verschluckte ungeschickt den Rauch. Hayes klopfte ihm ein paarmal auf den Rücken. Etwas wie Neid kam ihn an, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
„Ich mußte gestern Abend plötzlich fort, Nora. Es tut mir leid, aber es war nicht zu ändern. Du weißt, daß ich oft an der Börse zu tim habe — zwei Geschäftsfreunde wollten mich sprechen. Hat Allison meine Nachricht durch den Portier erhalten, und wie hat sie es aufgenommen?"
Noras Zunge leckte langsam über die Lippen. „Mir schien, als mache sie sich Sorgen über dein Wegbleiben; überhaupt war sie irgendwie verändert, nachdem du mit den beiden Männern das Lokal verlassen hattest. Sicherlich schätzt sie dich."
„Und der Zettel?" fragte er mit leiser Ungeduld.
„Sie las ihn, steckte ihn in ihre Handtasche und verabschiedete sich kurz darauf höflich von uns. Ich hatte den Eindruck, als wären ihre Gedanken wer weiß wo, nur nicht mehr bei uns. Auch Harry kam sie reichlich komisch vor, nicht wahr, Harry?"
Fleming nickte. „Sie war wirklich etwas sonderbar. Sie trank ziemlich viel, ich glaube, so zwei oder drei doppelte Whisky kurz hintereinander. Sie ist sehr hübsch und besitzt schönes blondes Haar."
Hayes hatte während Flemings Worten auf den Tisch gestarrt. Jetzt hob er langsam den Blick und richtete ihn auf den Jungen. Es dauerte nur drei oder vier Sekunden, aber Fleming konnte ein Unbehagen nicht ganz unterdrücken. Unter dieser Art Blicken hatte er noch nie leiden müssen. Er kannte Hayes flüchtig, jedoch so wie heute waren sie sich noch nie begegnet. Der Mann darf nicht mein Gegner werden, dachte er. Er ist gnadenlos und kalt wie Eis. Ich darf es mir mit ihm nicht verscherzen. Jack Hayes brannte sich eine neue Zigarette an und
Weitere Kostenlose Bücher