Sphaerenmusik
stand.
„Entschuldigung“, murmelte Silvia. „Ja bitte, noch eine Tasse.“
Während sie zusah, wie Mary sie geschickt bediente, bemerkte sie, dass Mike sie ungeniert musterte. „Du siehst wirklich unausgeschlafen aus. Bist du nachts noch einmal ausgegangen?“, fragte er spöttisch.
Silvia wurde rot und wollte ihm eine heftige Antwort geben, aber Pamela platzte mit einer Frage dazwischen:
„Silvi, was willst du unternehmen, während ich büffeln muss?“
„Ich werde mich mit einem Buch in den Pavillon setzen“, antwortete Silvia.
„Bedauerlicherweise kann ich dir dabei nicht Gesellschaft leisten“, sagte Mike, „ich muss ja Pam beim Büffeln helfen.“
Pamela kicherte und sagte schadenfroh: „Das schadet Ihnen gar nichts, gestrenger Herr Lehrer!“
Nach dem Frühstück ging Silvia in die Bibliothek, um sich ein Buch zu suchen, das über Schloss Harleigh und die Umgebung Auskunft geben konnte. Dabei fiel ihr Blick auf die Ahnentafel. Langsam wanderten ihre Augen von unten nach oben: ...geb. 1955, ...1904, ...1880,... William geb. 1834! Das müsste Daphnes Bruder gewesen sein, überlegte sie. Und hier, wo diese weiß übertünchte Stelle ist, müsste da nicht Daphnes Geburtsdatum stehen? Silvia kannte ja Daphnes Geburtsjahr, 1848, und nirgendwo anders konnte sie diese Jahreszahl finden.
Man hat Daphnes Geburtsdatum einfach ausg elöscht, dachte sie empört, als wenn sie nie existiert hätte!
Auf einmal glaubte sie, dass Daphne ihr tatsäc hlich nächtlich erschienen war, um sie zu bitten, ihr kurzes, verlorenes Dasein aus der Tiefe des Vergessens hervorzuholen. Und Silvia wusste, dass sie erst Ruhe finden würde, wenn sich Daphnes Schicksal aufgeklärt hatte.
Silvia lehnte sich an die Wand und grübelte nach. Wo sollte sie nur mit der Suche beginnen? Ihr fiel der Mönch ein, wie er da unten in dem Kelle rgang stand. Wohl hatte Onkel John gemeint, die Gestalt sei nur hinter dem Wein her. Aber hatte er nicht vorher gesagt, dass sich die Weinkeller auf der anderen Seite befanden? Vielleicht hatte der Mönch nach dem Schatz gesucht. Da mit dem Schatz aber auch Daphne verschwunden sein sollte, war es da nicht wahrscheinlich, dass beide an einer Stelle zu finden waren?
Noch grauste Silvia vor dem Gedanken, der sich aus ihren Überlegungen konsequent ergab. Dort mit der Suche anzufangen, wo sich der Mönch gesta nden hatte. Wieder kam ihr der Alptraum in den Sinn, wie vor ihrem Bett der Mönch immer größer und drohender hoch wuchs. Die junge Frau erzitterte.
Sie würde jemanden mitnehmen müssen, nur wen? Sie würde sich nur lächerlich m achen!
Silvia stellte sich lebhaft Onkel Johns dröhne ndes Gelächter vor, wenn sie ihm erklärte, dass Daphne ihr erschienen sei, um sie um ihre Hilfe zu bitten. Eher könnte sie sich schon an Pamela wenden. Nein, sie durfte das Kind nicht mit hineinziehen, und im Notfall würde ihr Pamela auch keine Hilfe sein können. Und Mike? Silvia seufzte. Sie traute ihm schon zu, dass er es selbst mit Gespenstern aufnehmen würde, doch noch eher würde er die Situation ausnützen, wenn er allein mit ihr im Keller war.
Mit einem Ruck warf Silvia den Kopf hoch. Sei kein Angsthase, befahl sie sich selbst, schließlich gibt es unten auch überall elektr isches Licht!
Silvia ging in ihr Zimmer hinauf und zog sich Jeans und einen Pullover an. Dann steckte sie sich noch vorsichtshalber eine Taschenlampe in die H osentasche.
Als sie unten im Keller stand, überlief sie ein Frösteln, und sie war drauf und dran, wieder nach oben zu flüchten. Dann schalt sie sich einen Fei gling.
Die junge Frau ging zu der Tür, hinter der der Mönch verschwunden war, und öffnete sie. Sie suchte nach dem Lichtschalter, fand aber keinen. In dem hereinfallenden Flurlicht entdeckte sie, dass es in diesem Raum auch ke ine Deckenlampe gab.
Bis hierher, dachte sie seufzend, ist also das zwanzigste Jahrhundert noch nicht vorgedrungen. Froh, dass sie ihre Taschenlampe mitgenommen hatte, zog sie diese hervor und leuchtete das G ewölbe ab. Es war vollkommen leer. Das Licht ihrer Lampe strahlte die Wände an, aber nichts deutete auf versteckte Gänge hin.
Silvia durchquerte die beiden nächsten Gewölbe, die nur durch schmale Öffnungen voneinander g etrennt wurden, doch nichts Geheimnisvolles war zu entdecken. Und je tiefer sie in diese unheimliche Welt eindrang, um so mehr fürchtete sie sich. Die Taschenlampe genügte nicht, um das Dunkel zu enthüllen. Auch die Stille, die hier herrschte, fiel
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