Sphaerenmusik
Abgesehen davon, dass trotz unserer Befragung der Schuldige auch nicht gefunden worden ist.
„ Wer soll es sonst gewesen sein?“, fragte John ä rgerlich. „Etwa ein Gespenst?“
* * *
Nachts wälzte sich Silvia unruhig in ihrem Bett herum. Immer wieder wachte sie auf. Schlummerte sie schließlich ein, tauchte der Mönch vor ihren Augen auf, jedes Mal wurde er größer. Leere Augenhöhlen starrten sie an, Knochenarme griffen nach ihr. Entsetzt fuhr sie hoch. Ihr Herz klopfte wie wild, und mit dem Einschlafen war es wieder für eine Weile vorbei.
Schließlich gab Silvia den Kampf auf. Sie stand auf und ging ins Bad, um eine Schlaftablette zu nehmen. Mit einem Schluck Wasser spülte sie die Tablette hinu nter.
Durch die Tablette beruhigte sich die junge Frau endlich. Sie ließ sich in ihr Bett sinken, und bald verkündeten ihre Atemzüge, dass sie fest eing eschlafen war.
Es mochten vielleicht zwei Stunden vergangen sein, als Silvia erneut hochfuhr. Irgend etwas hatte sie geweckt, sie vermochte nur nicht zu sagen, was es war. Sie lauschte, nichts unterbrach die Stille um sie herum. Sie fühlte aber, dass etwas anders war als sonst. Sie schaute zum geöffneten Fenster. Der Mond warf sein blasses Licht ins Zimmer hinein und ließ die Gegenstände darin unwirklich ersche inen.
Ängstlich wanderten Silvias Augen durch den Raum, und dann sah sie es: Die Wand zur Tur mseite war hinter einem nebelhaften Gebilde verborgen.
Langsam formte sich daraus eine Frauengestalt in einem weißen wallenden Gewand. Aus einem bleichen Gesicht starrten sie zwei große Augen an. Auf dem Hals leuchtete etwas wie ein roter Blut stropfen.
Merkwürdigerweise verspürte Silvia keine Furcht. Sie fühlte, dass diese Erscheinung sie nicht bedrohte, sie im Gegenteil nur bedrängte, um ihr etwas mitzuteilen, sie um etwas zu bitten!
„Was ist?“, flüsterte Silvia. „Was willst du?“
Zwei dünne Arme hoben sich vom Kleid ab und streckten sich ihr wie flehend entgegen.
Willenlos erhob sich Silvia und ging auf die Gestalt zu.
Im selben Moment verblasste die Gestalt, wurde zu Nebel, der sich nach und nach auflöste, bis die Wand wieder voll und ganz dahinter auftauchte, ehe das Zi mmer in Dunkelheit versank.
Silvia trat ans Fenster. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden. Alles war draußen ruhig. In die Stille hinein erklang eine Geige, rufend und lockend, bis sie wieder erstarb.
Schwer atmend stand Silvia noch eine Weile am Fenster, ehe sie sich erneut zur Ruhe begab. Ihre Augenlider fielen vor Müdigkeit wie von selbst zu, und sie schlief nun fest ein.
Am Morgen weckte sie die Sonne, die ihr warm ins Gesicht schien. Silvia fühlte sich so zerschlagen, als wenn sie die ganze Nacht gewacht hätte. Sie richtete sich auf, sank aber sofort wieder zurück, weil ihr Kopf schmerzte.
Was ist nur mit mir los, dachte sie, dann fiel ihr die seltsame Nacht ein. Kein Wunder, überlegte sie, wenn ich mich durch diese fürchterlichen Alpträ ume jetzt so erschöpft fühle. Sie glaubte auf einmal, dass auch die Erscheinung von Daphne nur eine Halluzination gewesen war.
Silvia wollte gerade aufstehen, als an die Tür geklopft wurde und gleich darauf Pamela herei nstürmte.
„Na, so eine Langschläferin!“, rief das Mä dchen. „Die Sonne lacht vom Himmel und du liegst immer noch in den Federn! Aufstehen, bitte!“ Und schon zog sie ihrer Kusine die Decke weg.
Silvia verzog das Gesicht zu einem Lächeln, da ihre Kopfschmerzen noch immer nicht vergangen waren, und sagte: „Ich scheine tatsächlich verschl afen zu haben. Ich gehe nur schnell unter die Dusche. Warte hier auf mich.“ Sie raffte ihre Wäsche zusammen und verschwand im Bad.
Kurze Zeit später stiegen die beiden Mädchen Arm in Arm die Treppe hinunter. Unten in der Halle trafen sie den Butler.
„Die Herrschaften warten schon“, sagte er mit einem leisen Vorwurf in der Stimme.
Während des Frühstücks war Silvia ziemlich wortkarg. Unaufhörlich musste sie an die verga ngene Nacht denken. Immer wieder sagte sie sich, dass es nur Angstträume gewesen waren. Auch die Geigenmusik versuchte sie sich dadurch zu erklären, dass sie diese nur gehört hatte, weil sie sie hatte hören wollen.
„Silvi, schläfst du am helllichten Tag?“ Silvia schreckte hoch, ihre Tante hatte sie angestoßen. „Mary hat dich schon zweimal gefragt, ob sie dir noch Kaffee nachschenken soll.“
Erst jetzt sah Silvia, dass Mary mit der Kaffeekanne in der Hand neben ihr
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