Sphaerenmusik
Teil und der Nagel auch noch hier zu finden sein. Ich sehe aber nichts“, entge gnete Pamela zweifelnd.
„Höchstwahrscheinlich hat sie der Täter mitg enommen“, entgegnete Silvia.
Sorgfältig löste sie die Schlinge vom Treppe ngeländer, um sie als Beweisstück aufzuheben.
Oben auf dem Gang blieb Pamela stehen und fragte verzweifelt: „Wer steckt nur dahinter? Da ddy ist immer so großzügig zu seinen Angestellten. Von ihnen kommt bestimmt keiner in Frage. Mike ist unterwegs und außer James und dem Butler sind nur Frauen hier. Es muss ein Außenstehender sein.“
Silvia erwiderte entschieden: „Nein, der Täter muss ein Schlossbewohner sein. Wer konnte sonst wissen, dass Onkel John höchstpersönlich den Wein aus dem Keller holen würde? Außerdem, um eine Schnur zu spannen, braucht man keine Kräfte. Es kann also auch eine Frau gewesen sein. Und wissen wir wirklich, wo Mike ist? Jedenfalls kann jeder von außen durch den Geheimgang ungesehen in die Kapelle zurückkommen, der offen durch das Schlosstor davongegangen ist...“ Erregt griff sie nach dem Arm Pamelas. „Komm mit!“, rief sie.
„Wohin?“
„Zur Kapelle natürlich!“
Eilig hasteten die Mädchen durch die Gänge. Dann standen sie vor der Kapellentür. Beherzt drückte Silvia die Klinke herunter. Die Tür sprang auf, obwohl sie John, wie Silvia selbst gesehen hatte, abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt hatte.
Erschrocken warf Silvia die Tür wieder zu und fl üsterte: „Er muss einen Ersatzschlüssel haben.“
Verängstigt hasteten die Mädchen zurück in den b ewohnten Teil des Schlosses.
Die darauf folgende Nacht verbrachten die be iden Mädchen gemeinsam in Silvias Zimmer. Sie hatten Angst, denn jeder, der den Gang kannte oder zufällig entdeckt hatte, konnte ungesehen und ungehindert bis in das Innere des Schlosses vordringen, und außer ihnen schlief nur noch Joan im Schloss.
Sie hatten zuerst überlegt, ob sie Joan warnen sollten, aber irgend etwas hielt sie davor zurück. Joan war ja auch so furchtbar unnahbar und une rgründlich. Außerdem wussten sie, dass Joan die Türen zu ihren beiden Räumen sowieso immer gut absperrte.
Sorgfältig hatten die beiden Mädchen vor die verschlossenen Türen des Schlafzimmers noch Möbelstü cke gerückt.
Lange konnten beide nicht einschlafen. Vor dem geöffneten Fenster bauschten sich die Vorhänge. Leise Geigenklänge wehten ins Zimmer, sanft und unendlich traurig, voll flehender Inbrunst und en tsagungsvoller Melancholie.
„Der Phantomgeiger“, seufzte Pamela.
„Wie unirdisch schön“, flüsterte Silvia.
Und sie lauschten beide wie verzaubert den sel tsam schönen Tönen.
Am übernächsten Tag kam Elisabeth zurück. „Wo ist Mike?“, fragte sie und war sehr erstaunt, als sie erfuhr, dass er noch nicht zurückgekehrt war. „Hoffentlich ist es mit seiner Mutter nicht schlimmer geworden“, sagte sie mitfühlend.
Elisabeth machte einen sehr erschöpften Eindruck, aber erst, nachdem sie auf die vielen Fragen immer wieder versichert hatte, dass es John verhältnismäßig gut ginge und dass er außer dem Beinbruch keine ernsthaften Verletzungen davongetragen habe, ließ man sie in Ruhe und sie konnte sich endlich in ihr Schlafzimmer flüchten.
* * *
Silvia saß am offenen Fenster ihres Zimmers und starrte in die warme Nacht hinaus. Über ihr wölbte sich ein sternenklarer Himmel. Der Mond warf sein Licht auf den Kies vor dem Schloss und tauchte die Bäume und Büsche des Parks in Licht und Schatten.
Silvia war sehr enttäuscht und mutlos. Das Rä tsel um Daphne aufzudecken, war für sie zu einer Verpflichtung geworden, aber obwohl sie nun den Geheimgang gefunden hatten, war das Geheimnis noch immer nicht gelöst, dafür aber ihr Onkel auch noch zu Schaden gekommen. Sie grübelte und grübelte und vergaß dabei vollkommen die Zeit.
Einmal war ihr, als wenn eine hohe Gestalt in einem Umhang und Schlapphut quer über den R asen eilte, doch als sie sich aus dem Fenster beugte, war niemand zu sehen. Dann schlug die Turmuhr. Waren es elf oder zwölf Schläge? Sie hatte nicht mitgezählt.
Halb war sie am Fenster eingenickt, da hörte sie es wieder: Zärtliche Geigentöne schwangen leise durch die Nacht, wurden kraftvoller, fordernder und brachen plötzlich mit einem schrillen Misston ab.
Als Silvia im Bett lag, fiel ihr die Spalte in der Mauer ein und ließ ihr keine Ruhe. Gewiss, sie war zu eng, um hindurchzukriechen, aber sie kam nicht von ihr los. Sie hatte
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