Spiegel der Offenbarung
fliegenden Schiff fielen Taue herab. Lan-an-Schie fing sie auf und reichte das erste an Robert weiter. Der stieß sich ab, flog zur Unterseite des Riesen und verschwand darunter. Nur um kurz darauf auf der anderen Seite wieder aufzutauchen.
Nicht nur, dass die Länge des Seiles auf wundersame Weise genau passte; wie der Vampir sich unter dem Riesenleib hindurchgequetscht hatte, blieb sein Geheimnis. Schon kam das nächste Tau, mit dem er ebenso verfuhr, und so fort, bis insgesamt zehn Taue von Rumpfanfang bis Rumpfende um den Riesenleib geführt worden waren. Lan-an-Schie flocht die Enden zu einem Stück zusammen und schmiedete es mit Feueratem an die nunmehr herabgelassene Kette.
»Hoffentlich schafft es meine Vogelkönigin überhaupt«, rief Arun. »Ist ja ein ganz schöner Brocken.«
»Mit ein wenig gemeinsamem Levitationszauber und unserer tatkräftigen Mithilfe kriegen wir das hin«, versetzte die Königin in der knurrenden Stimmlage des rot-schwarzen Monsters.
Sie gab Veda, die gerade heranflog, ein Zeichen. »Ziehe dich hinter die Mauer nach Morgenröte zurück, mit allen Kriegern!«, befahl sie. »Ich will zu euch allen sprechen, wenn wir hier fertig sind.«
»Ja, Schöpferin«, sagte die Amazone, ohne eine Miene zu verziehen. Sie flog ab. Alle Kämpfer Morgenrötes, zu Boden und in der Luft, hielten auf den Palast zu.
»Auf mein Kommando!«, rief Lan-an-Schie nach oben.
»Sind bereit!«
Die Segel der Cyria Rani blähten sich. Wirbel bildeten sich unter ihrem Bauch, als der Levitationszauber einsetzte.
Lan-an-Schie und Robert flogen auf, klammerten sich an die Kette und zählten laut.
»Drei! Zwei! Eins! Jetzt! «
Ein gewaltiger Ruck ging durch den Schiffsleib, die Kette straffte sich mit metallischem Stöhnen. Die Schwingen der Herrscher schlugen heftig, und sie zogen kräftig mit. Die farbigen Levitationswirbel vervielfachten sich.
Zuerst sah es so aus, als könne es nicht gelingen.
Dann hob sich der gewaltige Leib des Gestürzten mit einem weiteren gewaltigen Ruck aus seinem vermeintlichen Grab, und eine tiefe Grube wurde unter ihm sichtbar, während er unter dem weithin schallenden Jubel der Verteidiger in die Luft getragen wurde. Schon bald sorgte ein leichter Schlag mit den Tragflügeln für Auftrieb, und die Kette lockerte sich.
Lan-an-Schie und Robert machten sich sofort daran, die Verschnürungen zu lösen, und während die Seile nach oben gezogen wurden und die Cyria Rani zur Seite driftete, gewann der Titanendactyle rasch an Höhe. Er warf den Kopf hoch und stieß einen jubelnden Schrei der Erleichterung aus, wieder in seinem Element zu sein. Ein einziger Flügelschlag entfernte ihn um über hundert Meter, während er weiter stieg und sich rasch entfernte. Bald war er nur noch ein ferner Strich vor dem düsteren Himmel.
Der Jubel setzte sich fort, als die Herrscher über die Mauer flogen und mit brausenden Flügelschlägen auf der obersten Stufe der Portaltreppe beim Eingang zum Palast landeten. Schon im gleichen Moment nahmen sie ihre ursprüngliche Gestalt an, waren wieder Anne und Robert. Applaus brandete auf, als sie Hand in Hand nach vorn traten.
Der Hof war voll, die meisten Krieger drängelten sich am Rand. Auf den Zinnen, Türmen und Wehrgängen hatten die Flugtiere sich ihre Plätze gesucht. Die Gestrandeten hatten einen Platz beim Lazarett gefunden. Zoe und Luca hatten zu Laura, Jack und den Elfen aufgeschlossen, um diesen Moment gemeinsam zu erleben. Die Cyria Rani war wieder über dem Hof vor Anker gegangen, und Arun hielt sich ebenfalls unten bei den Freunden auf.
Niemand fehlte, alle waren hier, und ihre Begeisterung kannte keine Grenzen mehr.
Rasch trat Ruhe ein, als die Schöpferin die Hand hob. Sie war nicht groß, und doch konnte jeder sie sehen, als wäre sie ganz nah.
»Wir sind zurück!«, rief sie, was weiteren tosenden Jubel auslöste. Sie bewegte beschwichtigend die Hände, und es wurde wieder leiser, gedämpfter, hörte jedoch nicht ganz auf. Die Aufregung der Krieger war nur zu verständlich.
»Ich danke euch«, fuhr Königin Anne mit weithin tragender Stimme fort. »Euch allen, denn ihr habt Innistìr vor dem Untergang bewahrt. Ohne wissen zu können, ob sich eure Hoffnung jemals erfüllen wird, habt ihr treu und tapfer und unermüdlich gekämpft. Ohne euch gäbe es Innistìr nicht mehr!«
»Hurra unseren Herrschern!«, rief jemand, was rasch aufgenommen wurde, bis sie alle die Fäuste hochgereckt hielten und sie priesen.
Die Königin hatte
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