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Spiegel der Offenbarung

Spiegel der Offenbarung

Titel: Spiegel der Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Schwartz
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Gedanken zu stören. Ich habe nur dieses Ziel, nichts sonst. Zu Ende zu bringen, was ich nie begonnen habe.
    Laura blieb stehen und betrachtete den Kristallpalast. Funkelnd erhob er sich vor dem verfinsterten Himmel, verströmte ein sanftes, diffuses Licht. Johannes hatte recht gehabt, es war hier reiner, es gab keine Eintrübungen. Der Priesterkönig hatte schon gewusst, was er tat. Und er musste nach Vollkommenheit gestrebt und wie ein Asket gelebt haben. Und das in seinem eigenen Paradies. Andere hätten sich an Orgien übersättigt.
    Der Turm. Um den geht es. Laura näherte sich ihm zögernd. Es störte sie, dass sie unwiderstehlich von ihm angezogen wurde. Schon wieder nahm etwas Einfluss auf sie, und das hatte sie satt.
    Aber wenn sie schon mal hier war, konnte sie ihn genauso gut auch genauer in Augenschein nehmen.
    Sie umrundete den Turm, auf allen Seiten sah er gleich aus, mit Ausnahme der Eingangspforte, einer ganz normalen Tür aus Holz mit einem Griff daran. So, wie viele Türme und Rundtürme in Schottland und Irland aussahen und zugänglich waren.
    Laura stellte sich davor und entspannte sich. Da war nichts, sie empfand keinerlei Schwingungen. Sie hatte kein schlechtes Gefühl, und es kam ihr nicht das Geringste merkwürdig vor.
    Manchmal ist ein Turm einfach nur ein Turm.
    Dennoch hallte Annes Stimme immer noch in ihr nach. So nah und trotzdem fern.
    Na gut, das galt für den Spiegel dort oben. Wie hoch mochte der Hügel sein? Hundert oder hundertfünfzig Meter? Die Brücke führte etwa auf halber Höhe hinüber, und dann begannen die Stufen.
    Aber bis dahin ... könnte es sein, dass es tatsächlich einfach nur ein Zugang war. Den vielleicht sogar jeder finden konnte und nicht nur sie.
    Ich nehme mich viel zu wichtig, weil sie immer alle so tun, als wäre ich es.
    Dennoch glaubte sie nicht daran.
     
    Erstaunt hielt Laura inne. Sie merkte jetzt erst, dass ihre Hand sich ausgestreckt hatte und schon fast den Griff berührte. Wollte sie das denn wirklich tun? Oder hatte sie ein anderer dazu aufgefordert, das zu tun?
    Sie lauschte in sich hinein.
    Nein, da war kein Schattenlord, ganz sicher nicht, und er war auch nicht in der Nähe. Er hockte da oben, neben diesem grellen Leuchten, und wartete. Um sich die Zeit zu vertreiben, malte er den Himmel dunkelviolett und schwarzlila an und ließ die Farben ineinanderfließen.
    Seit alle in Morgenröte eingetroffen waren, hatte er sich nicht mehr gerührt. Er hatte keine weitere Verkündigung unternommen, geschweige denn war er selbst in Erscheinung getreten oder hatte versucht, Laura oder eine andere Person einzuschüchtern. Ja nicht einmal die Befreiung von Anne und Robert hatte ihn aus der Reserve locken können.
    Laura war gar nicht so sicher, ob die Gog/Magog überhaupt noch in seinem Namen kämpften. Einmal in Gang gesetzt, gab es für sie ohnehin nichts anderes als Kampf und Krieg, das war schlichtweg ihr einziger Lebensinhalt.
    Aber wieso dann ... diese unbewusste Geste gerade eben? Wieso war sie sich selbst einen Schritt voraus?
    Irritiert sah sie sich um. Sie konnte den Durchgang nach Morgenröte sehen, aber niemanden dahinter. Wie lange Milt wohl Geduld zeigen würde, bevor er angerannt kam?
    Über der Mauer schwebte die schlanke, elegante Cyria Rani . Sie sah ein wenig zerzaust aus, aber das war kein Wunder nach allem, was geschehen war. Bestimmt war die Mannschaft dabei, das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen.
    Was für ein Abenteuer. Wie ein Leben.
    Laura warf noch einmal einen Blick zurück zum Durchgang. Ja, sie sollte es tun. Das hatte gar nichts mehr mit den anderen zu tun. Sie ging einfach los und beendete es. Jetzt gleich. Ohne zu zögern.
    Also gut, überlassen wir es dem Schicksal. Ist die Tür verschlossen, gehe ich zu den anderen, und wir schlagen sie mit der Axt ein. Ist sie aber offen, gehe ich allein.
    Beherzt packte sie den Griff. Die Tür war offen.
     
    Trübes Zwielicht erwartete Laura im Inneren des Turms, an das sich ihre Augen erst gewöhnen mussten. Dämmriges Tageslicht fiel in Strahlen durch die unverglasten schmalen Mauerschlitze in gut vier Metern Höhe. Es gab keinerlei Einrichtung, alles war still und leer – und kühl, wie man es von solch einem Gemäuer nicht anders kannte. Es gab keinen Vorraum; sogleich führte ein Gang zum anderen Ende, wo der Aufstieg nach oben begann. Ein Turm, der einfach nur ein Turm war. Der vermutlich nie eine andere Funktion hatte, als über die Brücke zum Spiegel zu führen. Als

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