Spiegel der Offenbarung
Aussichtspunkt war er wenig geeignet, der höchste Turm des Kristallpalastes war mehr als doppelt so hoch.
Laura fuhr alarmiert zusammen, als hinter ihr die Tür ins Schloss krachte. Sie hatte sie völlig vergessen, einfach losgelassen, und sie war von selbst zugefallen. »Ich sehe schon überall Gespenster und zucke selbst vor einer Tür zusammen«, frotzelte sie über sich selbst und schüttelte den Kopf.
Also, da vorn war der Aufstieg. Nichts Besonderes dabei. Sie brauchte nur weiterzugehen.
Ein wenig allein fühlte sie sich schon. Und nicht ganz wohl, so ... eingeschlossen in diesem Gemäuer. Sie konnte jetzt Arun verstehen, der nicht sonderlich viel von Gebäuden hielt. Klar, als Korsar war er daran gewöhnt, sich die Seeluft um die Nase wehen zu lassen, es gab keine Begrenzung auf dem Meer, und die Wände seiner Kajüte waren dünn und lichtdurchlässig. Ein Rückzugsort ohne dicke Steinmauern.
Und nun ging es ihr ebenso. Andererseits – es wussten ja alle, wo sie war. Wenn sie zu lange fortblieb, würden sie kommen und nach ihr suchen. Und schließlich war dies hier kein Lift, in dem sie übers Wochenende stecken bleiben konnte, wenn alle nach Hause gegangen waren und nicht mal mehr die Meldezentrale besetzt war, weil das Parkhaus geschlossen hatte.
Weg, du böser Gedanke! Sie wedelte hektisch mit der Hand. Ich ziehe das jetzt durch, verdammt noch mal! Und abgesehen davon – wenn es zu brenzlig wird, hau ich einfach ab. Kann ich ja. Hat Anne gesagt. Als Grenzgängerin kann ich überall durchgehen, also auch durch Wände. Sicher gibt es einen Durchgang zu irgendeiner anderen Welt. Also kein Grund, Manschetten zu kriegen.
Beherzt ging sie los.
Und blieb stehen. Alle Haare stellten sich ihr zu Berge.
Es gab Nischen in dem Gang. Und aus einer dieser bisher im Dunkel unsichtbar gebliebenen Nischen löste sich jetzt ein großer, sehr großer Schatten von über zwei Metern Größe. Mattes Licht fiel auf eine mächtige goldfarbene Löwenmähne. Ein Schwertgriff blitzte auf. Eine lederne Rüstung knirschte leicht bei jeder Bewegung.
Oh ... verdammt ... Laura wurden die Knie so weich, dass sie sich an der Wand abstützen musste, sonst wäre sie gestürzt.
»Hallo, Laura«, sagte Leonidas und entblößte grinsend sein Raubtiergebiss. »Du weißt, was ich dir vor einiger Zeit versprochen habe?«
Oh nein. Neinneinneinnein. Nicht jetzt, nicht er, das darf einfach nicht wahr sein. Das kann nicht sein ...
»Ach«, gab sie scheinbar lässig von sich, wobei ihre Stimme jedoch ein lächerliches Piepsen von sich gab und sie der Lächerlichkeit preisgab, »wer hält denn schon seine Versprechen ...?«
»Nun, ich zum Beispiel.« Der General verhielt vor ihr.
»Es hieß, du seist verschwunden ...«
»Ich war außerhalb der Blicke anderer, aber nie fort.«
»Du hast aber nicht etwa die ganze Zeit hier auf mich gewartet?«
»Sei nicht albern, Kind.«
»Ich bin kein Kind!« Sie biss sich auf die Lippen, doch es war schon draußen, wieder einmal schneller, als sie denken konnte.
Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie jetzt tun? Sie drehte sich halb zur Tür hinter ihr, schätzte die Entfernung ab. Überlegte, ob sie es schaffen konnte. Ob sie jemand schreien hören konnte, falls es ihr gelang, die Tür zu öffnen, bevor er sie erwischte.
Aber ihre Knie schlotterten so sehr, dass sie wahrscheinlich schon nach dem zweiten Schritt gestolpert und hingefallen wäre. Ganz abgesehen davon, dass Leonidas vermutlich nur einen Sprung gebraucht hätte, um sie einzuholen, zu Boden zu reißen und unter der Masse seines Körpers zu begraben.
»Flucht ist zwecklos«, höhnte der General. »Deine Zeit ist gekommen.«
»Da bin ich nicht so sicher.« Laura gab sich tapfer. Sie spürte, wie ihr Herz immer tiefer rutschte. Bald würde es in ihren Magen plumpsen und dort langsam zersetzt werden. Diesen Zustand würde ein Arzt als »Angst« diagnostizieren. Es gab so viele Variationen davon ... Laura erfuhr gerade wieder eine neue.
Da ... da hörte sie plötzlich ein leises Piepsen. In einem Mauerschlitz war ein kleiner Vogel gelandet und lugte herein. Lauras Augen weiteten sich, und dann wurde sie ruhiger.
»Solltest du im letzten Augenblick auf ein Wunder von Sgiath warten, dann bist du eine törichte Närrin und hast in all der Zeit nichts gelernt«, knurrte Leonidas.
Lauras Blick schwenkte von dem Vogel zu dem General, und sie stutzte. »Moment mal – was weißt du über Sgiath?«
Seine Nase zuckte kurz. Er schien
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