Spiegelblut
der ein wenig ins Violett auslief und einen Ring rund um die Iriden bildete. Ein tief violettfarbener Ring, der schon jetzt so schwer wie eine Eisenfessel um sein Herz lag.
Vielleicht war es die Trauer in ihrem Blick, die ihn so anrührte. Furcht schmerzte in seiner Brust, als er sich ihrer Zerbrechlichkeit bewusst wurde. Sie würde jeden denkbaren Schutz nötig haben. Er konnte nur hoffen, dass Damontez die Nachricht gut aufnahm.
Zunächst würde er natürlich toben – auf seine ihm ganz eigene stoische Art und Weise. Ein Zucken um die Mundwinkel für seinen kochenden Zorn, ein Heben der linken Augenbraue für Ungläubigkeit, ein kurzes: »Bist du sicher?« für ein laut gebrülltes: »Schaff mir das vermeintliche Spiegelblut aus dem Sanctus Cor und bring mir nie wieder, nie wieder eines hierher, Pontus Wallin!« Seine lebensfeindliche Aura würde sich mindestens verdoppeln und die Lichtträger zehn Meter von ihm weichen lassen.
Ein zweites Spiegelblut in seinem Castle. Die alte Wunde, die Dorians Tod hinterlassen hatte, war immer noch nicht verheilt. Aber gerade wegen Dorians Tod hatte er keine Wahl, er musste Coco bei sich aufnehmen.
Pontus drehte sich mit dem Rücken zum Fenster und seufzte schwer. »Du wirst das Spiegelblut töten.« – »Mehr nicht?« – »Nein, mehr nicht.«
Die Zeit arbeitete für ihn. Es würde Monate oder sogar Jahre dauern, bis Coco ihre Kräfte vollständig bekam. Das verschaffte ihr Zeit zu leben. Zu lieben. Das, was ein Leben ausmachte, bevor es zu Ende ging. Das war doch die Liebe, oder nicht? Wer konnte schon sagen, ob nicht wenige glückliche Jahre besser waren als ein langes, unerfülltes Leben.
So unerfüllt wie meins , hätte er am liebsten in den Himmel geschrien. Er blickte zu den Wolken hinauf. Sicherlich war das Reich der Engel nicht dort oben, trotzdem beschlich ihn das ungute Gefühl, dass der Schreckensfürst Cheriour in diesem Moment genau auf ihn herab sah und dabei an seine Frage dachte: »Mehr nicht?«
Du kannst mir nicht verbieten, ihr vorher ein schönes Leben zu schenken, dachte er aufbegehrend. Wieso hatte er dann Angst? Wieso verhandelte er bereits in Gedanken mit ihm? Sie ist noch so jung. Nur ein paar Jahre. Mehr nicht.
5. Kapitel
»Die Welt hat nie eine gute Definition
für das Wort Freiheit gefunden.«
ABRAHAM LINCOLN
Ich blinzelte gegen die Dämmerung an. Weshalb hatte ich Angst? Wieso raste mein Herz so sehr? Warum war es so kalt? Ich suchte an der Decke nach etwas Vertrautem, nach den drei Astlöchern in dem hellen Holz, die ein gleichschenkliges Dreieck über meinem alten Sofa bildeten. Doch da war nichts. Noch nicht einmal Holz. Und ich hatte auch keine Kerzen in gusseisernen Halterungen in meiner neuen Wohnung …
Wo bin ich?
Ich setzte mich auf und rang nach Luft. Bleiche Prinzen mit Augen wie eine Gottesfinsternis, ihre Aura der Albtraum aller Dämonenjäger! Damontez Aspertu!
Die Erinnerung an die letzten Stunden kehrte zurück und mit ihr das Entsetzen, über alles, was geschehen war. Das Amulett, Lester, mein Gott … er war tot! Drohte mir das gleiche Schicksal? Aber Pontus hatte mir Schutz versprochen.
Mühsam kam ich auf die Beine, taumelte, weil mir immer noch ein wenig schwindelig war. Irritiert blinzelte ich in das Dämmerlicht. Die Mauern waren nicht verkleidet, der kleine Raum kreisförmig wie ein Turmzimmer: ein Verlies ! Bei dem Gedanken beschleunigte sich mein Atem, Panik wallte durch meine Adern und trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Ich sah nach oben – nur Dunkelheit, ich konnte keine Decke erkennen. Auch keine Fenster, nur eine schwere Holztür! Mit vor Kälte tauben Beinen ging ich darauf zu, drückte ängstlich die Klinke herunter. Abgeschlossen ! Ich lehnte mich gegen das Holz, legte die Hände vor das Gesicht, während die Wahrheit an der Wand herumschlich wie eine Katze und in meinem Kopf einen schrecklichen Refrain spielte:
Ich bin gefangen. Ich komme hier nicht raus. Ich bin gefangen. Ich komme hier nicht raus …
Außer mir und der Matratze, auf der ich geschlafen hatte, befand sich nichts in diesem Raum und schon nach wenigen Minuten wurde die Stille ohrenbetäubend laut. Um mich aufzuwärmen und das grauenvolle Bild von Lester aus meinem Kopf zu bekommen, tigerte ich an der Wand entlang und fütterte meinen Verstand mit Fragen:
Ob Damontez dieser Freund war, dem Pontus das Versprechen gegeben hatte? Und was hatte er gemeint mit – die meiner Art? Wie hatte er mich genannt: Spiegelblut? Fast wie
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