Spiegelblut
begann Damontez jetzt, und es war wohl mein Part aufmerksam zuzuhören. Ich starrte auf eines der Fensterbilder und versuchte, das saure Gefühl in meinem Magen zu unterdrücken, das dort gärende Blasen bildete. Als er eine längere Pause machte, sah ich ihn fragend an. Er betrachtete mich eine Weile, so lange, bis ich den Fehler selbst bemerkte und meinen Blick nach unten nahm. Dabei biss ich mir so fest auf die Zunge, dass sie fast anfing zu bluten.
»Spiegelblut, Spiegelseele, Engelskind. Diese drei Namen werden synonym verwendet. Jeder davon steht für eine Fähigkeit.«
Ich spürte seinen grauenvollen Blick auf meinem Scheitel.
»Warum nennt man ein Spiegelblut auch Spiegelseele?« Es war keine Frage an mich, er setzte die Antwort sofort nach: »Weil ein Spiegelblut die verlorenen Seelen der Nefarius aus dem Heiligtum der Engel spiegeln kann. Genauer gesagt, spiegelt es die Liebe, das, was eine Seele ausmacht.«
Ich schloss die Augen, das war nicht verboten. Erinnerungsblitze an Kjell und den Sommer in Paris zuckten hinter meinen Lidern vorbei.
»Nur die Seelen der Nefarius kannst du spiegeln. Die eines Angelus ist dort, wo sie sein sollte – in seinem Körper. Aber wenn ein Angelus leidvoll tötet, wird er zu einem Nefarius.«
Ich hielt die Augen geschlossen. So war es besser, so musste ich wenigstens nicht ständig auf den Saum seiner dunklen Hose starren.
»Wird ein Nefarius getötet, stirbt dieser Vampir seelentot.« Dem letzten Wort verlieh Damontez ein unheilvolles Gewicht.
Seelentot, das hörte sich schrecklich an. Trotzdem tat ich so, als wäre es mir egal, und malte mit meinem Zeh eine Blume auf den Teppich.
»Sieh mich an!« Er klang ungeduldig, und ich gehorchte sofort. Insgeheim freute ich mich über seinen Ärger. Ich hatte ihn provoziert, ohne eine Regel zu brechen. Im nächsten Moment wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan. Seine Höhlenaugen zogen mich in einen endlosen Tunnel, bis mir plötzlich sein innerer Sturm durch die Schwärze entgegenwehte.
»Kennst du die drei Fähigkeiten eines Spiegelblutes bereits?«
»Nein.« Mein Hals war wie ausgedörrt. Bitte, hör auf, mich so anzusehen …
»Pontus hat mir berichtet, dass du etwas über Kjell wusstest, das er ansonsten hütet wie sein verwundbares Herz vor einem Diamantspeer. Das könnte ein Hinweis auf die Fähigkeit Nummer eins sein.« Er begann, mich zu umrunden. Ich kam mir umzingelt vor, bedroht von allen Seiten.
»Vielleicht«, presste ich durch die Zähne hervor, »habe ich nur richtig geraten, Intuition oder so.« Verdammt, ich wollte alles sein, nur kein Spiegelblut. Ich würde ihn täuschen, austricksen, hintergehen, um ihn davon zu überzeugen, dass ich nur ein verrückter Freak mit ein paar Visionen zu viel war. Ich konnte nicht hier bleiben und seine unmenschlichen Regeln befolgen, nur weil ich ein Mädchen in der dämlichen Obhut eines Vampirs war. Und gerade eben hatte ich ohne Aufforderung gesprochen.
»Pontus war anderer Meinung.« Er schien es mir durchgehen zu lassen. »Hast du dazu etwas zu sagen?«
»Vielleicht hat Pontus vorher ein paar Andeutungen gemacht«, behauptete ich einfallslos. Wenn ich nur gewusst hätte, was genau Pontus Damontez gesagt hatte. Pontus hatte vor Kjell für mich gelogen. Kurz zuvor hatte Kjell den Begriff Spiegelseele erwähnt. Das hatte ich mir gemerkt, da es mir so merkwürdig vorgekommen war. Daraus konnte ich schließen, dass Kjell nicht erfahren sollte, was ich war, wenn ich es war. Aber wieso?
»Halte. Mich. Nicht. Zum. Narren.« Die Worte knallten wie Rutenhiebe über meine nackten Oberarme. Er stand zu meiner Linken. Seine Lippen waren ein dünner Strich, die undurchsichtigen Augen schmal. Ich senkte den Blick freiwillig, schlang beide Arme um mich und überlegte, was er mir schlimmstenfalls antun könnte. Er hatte mich zwar völlig in der Hand, aber er konnte mich nicht töten. Er brauchte mich. Ob er mein Blut trinken würde, um mich zu bestrafen?
»Kommen wir zu der Bezeichnung Engelskind. Ein alter Name, der kaum noch geläufig ist. Engelskind deshalb, weil ein Spiegelblut mit den Sinnen der Engel verbunden ist, es ist spiegelsichtig.« Damontez war vor mir stehen geblieben, und ich schielte vorsichtig nach oben. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Kennst du den Gesang von Farben? Den Geschmack von Zorn und Kummer?« Die Schwere in seiner Stimme irritierte mich, er klang fast traurig. Ganz kurz meinte ich, silbernen Schnee zu riechen. »Weißt du, welche
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