Spiegelblut
nur.
»Du hast nicht geschlafen«, bemerkte er, nachdem er mich von oben bis unten einer eingehenden Betrachtung unterzogen hatte. »Ich habe dir die drei Spiegelblut-Kräfte genannt, aber nicht,wozu ein Spiegelblut sonst noch fähig ist.«
Ich stellte die Füße auf die Stuhlkante, legte den Kopf auf die Knie.
»Es ist nicht einmal Mitternacht, du musst noch ein paar Stunden wach bleiben, damit du die Umstellung schaffst.«
»Ich möchte mich nicht umstellen. Ich möchte zu Pontus«, flüsterte ich.
»Sieh mich an!«
Ich konnte meinen Kopf kaum gerade halten, nachdem ich so lange auf den Boden gestarrt hatte. Neben den einzelnen Wirbeln brannten meine Muskelstränge und Sehnen.
»Hast du es dir bis jetzt verdient, ihn zu sehen?«
War das vielleicht seine Art, mich zu bestrafen? Würde er mir jeden Kontakt zu anderen verweigern, falls ich nicht tat, was er sagte?
»Ich weiß es nicht«, entgegnete ich leise.
»Wenn ich sehe, dass du dir jetzt Mühe gibst, lasse ich ihn später noch ein paar Minuten zu dir.«
Ein paar Minuten? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, wie sehr einem die eigene Ohnmacht zusetzen konnte. Natürlich war ich auch bei Eloi immer in der schwächeren Position gewesen, aber eines Tages hatte ich begriffen, dass ich ihm überlegen war. Damontez dagegen schien ich gar nichts vorauszuhaben, weder Lebenserfahrung noch mentale Stärke.
Mit einer Geste bedeutete er mir aufzustehen.
»Kann ich nicht sitzen bleiben?«
Er schüttelte den Kopf, und ich quälte mich in den Stand.
»Du weißt, dass meine Seele nicht vollständig ist.«
Ich nickte und wusste nicht, wohin ich dabei sehen sollte. Deshalb musste ich aufstehen, es ging ans Eingemachte. Elois Geschichten fielen mir ein, die Worte der Alten über die Halbseelenträger. Es gab die wildesten Spekulationen, wie es dazu gekommen war. Niemand kannte die ganze Legende, sie sei zu alt für die Kurzlebigkeit der Menschen, hatte Eloi gesagt. Nur wenige ausgewählte Lichtträger waren mit ihr vertraut.
Curiosity killed the cat!
Ich konnte meine Neugier nicht zähmen, und er hatte mir erlaubt zu sprechen: »Was hast du getan? Du hast gesagt, ein Vampir verliert die Seele nur, wenn er leidvoll tötet.«
Damontez lief ein Stück den Mittelgang entlang. Seine Bewegungen waren auf kriegerische Art anmutig, sein Körper in keinster Weise unnatürlich muskelüberladen, sondern von vollkommen harmonischer Statur. Ginge es alleine ums Äußere, hätte ich ihn freiwillig angebetet. Aber davon war ich meilenweit entfernt. Mistkerl!
»Egal ob wir von einer Vampirin geboren oder durch einen von uns zu einem Geschöpf der Nacht gemacht werden, wir alle besitzen zunächst eine Seele. Doch wer den Vampir in sich trägt und ihn zu stark werden lässt, wer grausam tötet, der verliert seine Seele.« Er schwieg kurz, dann fügte er an: »Ich habe gar nichts getan.«
Das würde ich dir nicht bescheinigen!
Sein Blick hing wieder auf dem rot schillernden Mosaik, das wir vorhin jeder für sich betrachtet hatten. »Komm her!« Er stellte sich direkt vor das Bild und winkte mich formlos zu sich. Ich gehorchte, blieb aber vorsichtshalber einen Meter hinter ihm stehen, rechts! Er nickte zufrieden und mein zusammengepresstes Herz entspannte sich ein bisschen.
»Willst du nicht wissen, was das Gemälde darstellen soll?« Damontez drehte sich zu mir um. Seine Schönheit war ebenso verstörend wie seine Regeln. Seine Augen schimmerten in einer Tiefe, die mich in ihrer Eindringlichkeit erschreckte.
»Doch«, flüsterte ich angespannt. »Wenn du es erzählen möchtest …«
Er gab einen undeutbaren Laut von sich. »Siehst du den blonden Engel dort oben auf dem Mosaik?«
»Er sieht aus wie der Erzengel Michael. Sein Name heißt übersetzt: Wer ist wie Gott? Er wird oft als Bezwinger des Teufels dargestellt.« Eigentlich war ich nur ein Heiligabend-Christ, ein bisschen was hatte ich allerdings doch aus meinem Religionsunterricht mitgenommen.
»Es ist nicht Michael. Aber es gab einst ein Bündnis zwischen den Engeln und den Vampiren. Die Vampire versprachen vor langer Zeit, die weltwandelnden Engel zu verschonen.«
Weltwandelnde Engel?
»Weltwandler sind Engel, die als euresgleichen auf die Erde kommen, um bestimmten Menschen zu helfen oder eine andere Pflicht zu erfüllen. Sie sind sozusagen Engel auf Erden. Aber dadurch werden sie verwundbar und sind leichte Beute für Dämonen.«
Ich starrte auf das Bild, betrachtete den zornentbrannten Geflügelten,
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