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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
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sehr bodenständig. Wir erledigen hier alles, was wir im normalen Leben auch tun würden: aufräumen, einkaufen, kochen. Vergiss meinen Schokokuchen vom Frühstück nicht!«
    Mir fiel wieder ein, wie Myra mich beim Frühstück genannt hatte: Nachtschattenherz . Als ich sie danach fragte, fing Myra an, Kette zu rauchen, und Shanny lächelte versonnen.
    »Es ist ein altes Märchen in der Geschichte der Vampire.« Myra lehnte sich mit überkreuzten Beinen an die Mauer. Genussvoll zog sie an der Zigarette. Eigentlich war es mir überhaupt nicht recht, dass sie hier rauchte. Wie sollte ich Damontez später erklären, dass es in seinem Verlies roch wie in einer Räucherkammer? Andererseits war ich so glücklich über ihre Gesellschaft, ich hätte ihnen vermutlich sogar einen Joint gedreht, wenn sie dafür länger geblieben wären.
    »Es war einmal ein Mädchen.« Shanny setzte sich zu mir, und ich ließ sie unter die Decke schlupfen. Ihre Beine waren genauso eiskalt wie meine und wir wärmten uns gegenseitig. »Das Schiff ihres Vaters sank im Nordpolarmeer, und sie war die einzige Überlebende. Ein Vampir fand sie am Ufer, und wie es das Schicksal wollte, verliebte sie sich in ihn. Er gehörte noch zu den blaublütigen Elistras.«
    »Elistras, was ist das?«
    »Das sind die Ältesten«, erklärte Myra und nahm einen tiefen Zug, den sie in Form von Kringeln ausspuckte. »Sie lebten im hohen Norden. Man sagt, sie hätten blaues Blut und würden nur von ihresgleichen trinken. Sie stammen noch in erster Linie von den frühesten gefallenen Engeln ab. Alle Dämonen dieser Erde sind die Nachfahren der gefallenen Engel – die, die einst mit Luzifer aus dem Himmel verbannt wurden. Niemand weiß, ob es heute noch Elistras gibt. Sie wurden nach und nach von dem roten Blut gelockt und so entstanden im Laufe der Zeit die heutigen Vampire.«
    Ich wusste nicht, ob es an der Benebelung des Rauches lag, an dem engen Raum oder an der vorherigen Isolation: Es erschien mir selbstverständlich, dass irgendwo im Norden eine Gruppe uralter gefallener Engel saß, die blaues Blut trank. »Und liebte er sie auch?«
    »Ja, so sehr, wie sie ihn. Es war eine magische Liebe.«
    Unwillkürlich lächelte ich bei diesem Gedanken. »Eine magische Liebe!«, wiederholte ich leise. Wie sehr wünschte ich mir jemanden, den ich lieben konnte. »Wie ging es weiter?«
    »Er schwor sich, niemals ihr Blut zu trinken, und sie gab sich alle Mühe, ihn vor sich selbst zu schützen.« Shanny blickte zu Myra, dann wieder zu mir. »Und vor allem versuchte sie, nicht den Neid seiner Brüder zu wecken, denn sie begannen immer mehr, das rote Blut zu begehren.«
    »Und was hat sie genau gemacht?«
    »Betrat er den Raum, senkte sie ihren Blick, um ihre Schönheit zu verbergen. Sie redete wenig, nur wenn er sie dazu aufforderte, um ihn nicht mit Belanglosigkeiten zu langweilen. Männliche Vampire sind generell nicht geschwätzig und hassen jedes überflüssige Wort. Außerdem wollte sie ihn nicht durch den Klang ihrer Stimme verführen. Also schwieg sie, und damit er sie nicht ständig vor Augen hatte, lief sie hinter ihm. Im Beisein anderer Vampire sprach sie gar nicht und sah, wenn überhaupt, nur ihn an. Sie wollte seine Brüder nicht in Versuchung führen und ihm auf diese Weise zeigen, zu wem sie gehörte. Um sich mitteilen zu können, blinzelte sie einfach.«
    »Warum hat sie nicht genickt und den Kopf geschüttelt?«
    »Die Elistras kannten diese menschlichen Gesten damals noch nicht. Sie lebten unter sich und hatten keinen Kontakt zu uns«, erklärte Shanny. »Das Mädchen empfand es nicht als Einschränkung. Sicher, sie gab sich für ihn ein Stück weit auf, aber man sagt, sie wäre dafür reichlich beschenkt worden.«
    »Wie das?«, fragte ich leicht fassungslos. Dass sich jemand freiwillig so aufgab, erschien mir so fragwürdig wie die Jungfrauengeburt.
    »Eines Tages entschied sich das Mädchen, ihm doch von ihrem Blut zu geben, so sehr vertraute sie ihm, so sehr liebte sie ihn, dass sie auch das mit ihm teilen wollte.«
    »Er hat sie getötet?«
    »Nein, natürlich nicht«, widersprach Shanny schnell. »Er trank von ihr. Er war der Erste der Elistras, der das rote Blut kostete.« Mit unergründlichem Blick sah sie an die Decke. »Aber weil sie ihm ihre Sterblichkeit in die Hände legte, alles, was sie hatte, zeigte er ihr das Antlitz der Nacht, das Abbild der Großen Göttin der Schatten, wie Vampire den Tod manchmal nennen. Er ließ sie den Tod kosten, ohne dass

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