Spiegelblut
bemerkte er dann leicht herablassend, jedoch auch ein wenig misstrauisch.
»Das brauche ich gar nicht. Es ist einfach so. Schau sie dir doch an!«
»Das tue ich.«
»Sie ist wie ein Kind.«
»Nun, verglichen mit deinem Alter ist sie das wohl auch.«
»Verglichen mit deinem ebenso. Aber das meinte ich nicht. Sie ist so … unschuldig.«
»Sie mag dir kindlich erscheinen, weil sie sich noch an Dingen erfreuen kann, an denen du seit Jahrhunderten das Interesse verloren hast. Andererseits hat sie jahrelang die Verantwortung für ihren Onkel getragen und davor für ihren Bruder. Und das ganz allein. Sie ist schneller erwachsen geworden als andere.«
Pontus starrte Damontez sprachlos an. Bislang hatte er nicht gewusst, wie viele Gedanken sich der Halbseelenträger über Cocos Vergangenheit gemacht hatte. Er musste ihm widerwillig recht geben.
»Cristin kam vorhin aus Glasgow zurück«, sagte Damontez jetzt zusammenhanglos. »Er hat Gerüchte gehört.«
»Gerüchte?« Pontus wandte sich nur ungern von Coco ab. Das Wort Gerüchte ließ all seine Alarmglocken schrillen.
»Vidan und Adis erzählen überall herum, ein Mädchen hätte Kjells Seele gespiegelt.«
»Solange sie nicht wissen, wo es ist …«
»Sie vermuten es bei dir. Und da du meinem Kreis angehörst, glauben sie natürlich, es wäre im Sanctus Cor.« Er versuchte, emotionslos zu klingen, aber Pontus hörte seine Besorgnis heraus. »Zwei weitere Gruppen Spiegelblutjäger ziehen seit Tagen durch Glasgow. Eine davon weiß, dass ich ein Mädchen unter meine Obhut gestellt habe, und sie haben richtig kombiniert, nämlich dass es eben dieses besondere Mädchen ist, von dem Vidan und Adis erzählen.«
»Vielleicht sollte ich mit Coco den Clan verlassen?«
»Es ist zu gefährlich, Coco irgendwo anders hinzubringen. Hier ist sie vorerst sicher. Niemand wird in Zeiten wie diesen das Castle von Remo Cozalus Seelenbruder angreifen, wenn er keinen zwingenden Beweis dafür hat, dass das Mädchen ein Spiegelblut ist.«
»Dann werden sie erst einmal herausfinden wollen, ob die Gerüchte der Wahrheit entsprechen«, sagte Pontus nachdenklich.
Damontez nickte und wandte seinen Blick wieder Coco zu. »Vielleicht sind es ja nur Gerüchte. Vielleicht ist sie keine Spiegelseele.«
»Haben deine Tests etwas ergeben?«
»Mit dem Lichtspeer stellt sie sich so ungeschickt an, dass ich jedes Mal Angst habe, sie bricht den Diamanten ab oder spießt sich selbst damit auf. Oder mich – und sei es nur aus Versehen.«
»Es braucht Zeit. Arbeitest du auch an ihrer Spiegelsicht?«
Damontez nickte und schob grimmig den Unterkiefer vor. »Sie lügt mich an, aber ich kann ihr leider nicht das Gegenteil beweisen. So viel dazu: Sie verstellt sich nicht! Und ich habe ihr auch das Toben hier draußen nicht erlaubt!«
Noch ehe Pontus etwas anfügen konnte, trat Damontez aus seinem Versteck heraus und schritt bedrohlich auf die beiden Mädchen zu. Wäre er an Cocos Stelle, hätte er sich bei Damontez’ plötzlichem Erscheinen zu Tode gefürchtet. Damontez unterschied sich zwar äußerlich nicht von anderen Vampiren, doch die gespaltene Seele hinterließ ihre eigene Signatur. Für Vampire war sie nicht ganz so schwer zu ertragen wie für Menschen, außerdem setzte mit der Zeit ein leichter Gewöhnungseffekt ein – so wie wenn man zu lange verpesteter Luft ausgesetzt war. Aber da waren immer noch die leeren, schwarzen Augen …
»Habe ich dir erlaubt, den Innenhof zu betreten, Coco-Marie?« Trotz der Ruhe lag eine unüberhörbare Drohung in seinen Worten. Es war schmerzlich zuzusehen, wie ihr Strahlen erlosch und sie sich bei seinem Anblick zusammenkrampfte, versuchte, sich noch kleiner zu machen, als sie war.
»Du hast es nicht verboten«, antwortete sie leise und senkte den Blick auf ihre Füße. Hatte die Kälte sie zuvor nicht zittern lassen, jetzt bebten ihre schmalen Schultern. Natürlich wusste sie, dass er ihr Herumtoben im Schnee niemals geduldet hätte. Und sicher fragte sie sich auch, was er wohl alles mitgehört hatte.
»Alles, was ich dir nicht ausdrücklich erlaube, ist ab dieser Sekunde verboten, verstanden?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Wiederhole es!«
»Alles«, rief Coco in dem Moment so laut, dass sich ein paar Lichtträger auf der Wehrmauer umdrehten. Trotzig reckte sie ihr Kinn ein wenig nach oben: »Alles, was du mir nicht ausdrücklich erlaubst, ist verboten. Aber weißt du was, es ist mir völlig egal!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte mit
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