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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
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sammelten sich Wörter, aber sie zerplatzten in meinem Entsetzen, bevor ich sie aussprechen konnte.
    Nein, nein, bitte … versuchte ich ihm stumm zu übermitteln.
    »Du hättest niemals weglaufen dürfen.«
    Seine freie Hand fand den Puls an meiner Kehle, mit nur einem Finger staute er das Blut und spannte gleichzeitig die Haut über der Ader an. Routinierte Handgriffe, für ihn so selbstverständlich, für mich so fremd und beängstigend. Die dunklen Punkte schoben sich von meinen Augenwinkeln in die Mitte meines Blickfelds, sekundenlang wusste ich nicht mehr, ob ich wach war oder träumte.
    Oh Gott, er tut es wirklich, er will mir nicht nur Angst machen …
    Er stürzte sich so schnell auf mich, dass ich nicht einmal schreien konnte. Das scharfe Brennen an meiner Kehle fuhr mir durch jede Faser meines Körpers. Hilflos strampelte ich mit den Beinen, wollte den Kopf herumwerfen, aber er gab nicht nach, hielt mich weiter fest. Wieder verharrte er, bis ich ruhig liegen blieb, vermutlich, damit ich mich nicht selbst durch meine Gegenwehr verletzte. Ich spürte die Bewegung seiner Lippen auf meinem Hals, geräuschvoll sog er das Blut heraus, trank hastig. Das Geräusch, als er schluckte, ließ mich wimmern vor Angst.
    Die dunklen Punkte wandelten sich zu schwarzen Flammen. Sie flackerten vor meinen Augen wie der Schatten des Todes, den er auf mich warf. Mir wurde noch kälter, so kalt, als läge ich in einem Grab tief unter der Erde.
    Er hört nicht auf! Er hört nicht auf!
    Mein Brustkorb schmerzte, mein Herz gefror bei lebendigem Leib. Die Schläge explodierten hart und schnell, dann wurden sie mit einem Mal langsamer. Eis wirbelte in meinen Herzkammern wie in einer Schneekugel. Ich wollte gegen dieses Gefühl ankämpfen, aber es umklammerte mich innerlich ebenso unerbittlich, wie Damontez meinen Körper kontrollierte. Es war, als würde ich mit dem Tod selbst ringen, als hätte er auf einmal eine Gestalt und ein Gesicht. Irgendwann ergab ich mich einfach – in diesem Augenblick wich er zurück, als hätte er es gespürt, und betrachtete mich von oben. Ich sah nur noch ihn – und wusste nicht mehr, ob er der Tod war oder sein Schatten oder Damontez. Silbersterne schneiten Stille um mich herum, als wäre ich plötzlich taub, ein Teil von mir erhob sich, stand ganz allein in einem lautlosen Silberstern-Sturm mit weit ausgebreiteten Armen. So wie ich früher Schneeflocken mit der Zunge gefangen hatte, die Luft ganz ruhig, nur ich und der Schnee, und irgendwann war er so hoch, als hätte er Zinnen um mich gebaut, auf die das letzte Wintersonnenlicht fiel. Unwirklich und wunderschön, ein Palast aus weißem Licht und Glanz. Ein Augenblick, in dem man den Tod willkommen heißt, weil eine Ahnung von Glückseligkeit durch den Vorhang der Realität scheint. Meine Angst war verschwunden.
    Ich blinzelte kurz. Immer noch lag ich unter ihm. Der Duft des Mondwindes hauchte über meine Augenlider wie eine wilde, verzweifelte Sehnsucht und wieder lag der schwarze Horizont aus Schmerz irgendwo zwischen seinen Augen und den Silbersternen.
    Ich hörte meine eigene Stimme wie ein Echo in meinem Kopf: Finan, weißt du noch, was Eloi früher zu dir gesagt hat, als du ihn gefragt hast, was der Horizont ist? Er sagte, es sei der Ort, hinter dem wir alle blind wären. Was, wenn Silbersterne ein Gefühl in Spiegelsicht ist? Was, wenn Mondwind eines ist?
    Damontez senkte den Kopf und meine Furcht kehrte zurück, als erwachte ich schmerzhaft aus einem Traum, der nicht meiner war. Seine Finger lagen auf meiner Halsschlagader. Ich spürte das schnelle, harte Klopfen bis in den Hinterkopf und irgendwie vibrierte der Boden. Ein paar Atemzüge später erkannte ich, dass nicht der Untergrund unter mir bebte, sondern mein ganzer Körper unkontrolliert zitterte.
    »Du wirst mir nie wieder davonlaufen.« Ich sah den Glanz in seinen Augen, er war dem von Kjell ähnlich, als er an die Tunnelmauer zurückgewichen war. Aliquid Sanctum!
    Ich versuchte zu nicken. Ja . Hatte ich das gedacht? Geflüstert?
    »Du tust, was ich sage.«
    »Ja.« Meine Lippen bewegten sich, aber ich hörte mich nicht – er scheinbar schon.
    »Du gehörst mir, so wie jedes Mädchen seinem Herren gehört.«
    »Ja.« Jetzt hatte ich mich völlig ergeben, doch es war mir egal. Mir war so elend, so kalt, ich würde vermutlich sowieso gleich erfrieren. Der Blutverlust ließ das Bild vor meinen Augen in Schwärze zerfließen. Wann hatte er die Wunde verschlossen und den Arm unter meinen

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