Spiegelblut
mich nicht dagegen wehrte.
»Soll sie es denken«, sagte er nur und betrachtete mich mit einer unerschütterlichen Ruhe. Diesem dunklen Blick fühlte ich mich derzeit definitiv nicht gewachsen, wenn er auch nicht mehr ganz so schrecklich für mich war wie zu Beginn. Ich schloss die Augen, im selben Augenblick verstärkte er den Druck seiner Finger, so dass ich ihn wieder ansehen musste. Was wollte er? Dass er etwas wollte, war offensichtlich. Zehnmal versuchte ich ihm durch Augenschließen zu entkommen, zehnmal bekam ich zu spüren, wer von uns beiden das Zepter in der Hand hielt. Ich wurde immer nervöser. Was zum Henker beabsichtigte er damit? Oder war das für ihn ein Spiel?
»Bist du weggelaufen, Coco-Marie?«, fragte er nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien. Aha, das wollte er also! Er dachte wohl, mich genug zermürbt zu haben.
»Nein! Ich kannte ja noch nicht einmal den Weg durch die Katakomben!« Sollte ich ihm sagen, dass ich fast Zeuge eines Seelenentzugs geworden wäre? Aber dann wüsste er, was ich war.
»Shanny hätte ihn dir verraten können. Sie würde sicher für dich lügen.« Immer noch sah er tief in mich hinein, die Hand in meinem Genick.
»Hat sie aber nicht«, entgegnete ich aufbegehrend. Ich bekam Angst. Was, wenn er mir nicht glaubte? Ich drückte meinen Nacken fest gegen seine Hand, wand meinen Kopf nach allen Seiten, aber es war natürlich völlig zwecklos. Seine Augen blitzten, nicht zornig, eher amüsiert darüber, dass ich nicht aufhörte, gegen seinen Griff zu rebellieren.
»Warum schlägt dein Herz so schnell, wenn du die Wahrheit sagst?«, fragte er mehr interessiert als misstrauisch, als ich wieder still saß.
»Ich habe Fieber. Und ich bin wütend.«
Wir starrten uns an. Verfluchte Schattenaugen! Mein Herz raste wirklich. Aber nicht nur, weil ich krank und wütend war!
»Du hast gesagt, du lässt mich gehen, wenn ich kein Spiegelblut bin«, sagte ich irgendwann. »Gilt das immer noch?« Oder hast du deine Meinung geändert, weil du mein Blut getrunken hast , fügte ich gedanklich hinzu. Ich musste es einfach wissen.
Er schwieg und das machte mir plötzlich furchtbare Angst. Als ich diesmal die Augen schloss, ließ er mich los. Ich sank auf das Fell zurück und rollte mich unter der Decke wie ein Igel zusammen. Natürlich würde er mich nie wieder fortlassen. Entweder ich wäre sein Spiegelblut oder sein Nachtschattenherz – oder beides. Und wahrscheinlich würde er auch eines Tages zusammen mit dieser entsetzlichen Vampirin mein Blut trinken. Und dann müsste ich noch dankbar sein, wenn sie nur mein Blut nahmen.
Als er endlich sprach, hatte ich mir bereits alle möglichen Horrorszenarien ausgemalt. »Ich halte meine Versprechen«, sagte er leise. »Solltest du kein Spiegelblut sein, lasse ich dich gehen. Allerdings fürchte ich, dass du auch dann auf Schutz angewiesen sein wirst. Du wirst Schottland verlassen müssen, um vor den Seelenlosen sicher zu sein. Aber ein gewisses Risiko bleibt.«
Ich schloss die Augen, schluckte ein paar Mal, um nicht zu weinen. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht: dass sie mich zeitlebens jagen könnten. Ich wollte ebenso wenig in diese Welt gehören, wie ich mir immer gewünscht hatte, in meiner zu Hause zu sein. Was er mir über die Kriege und Gebräuche erzählt hatte, ängstigte mich zutiefst. Faylin Corell zu begegnen, ängstigte mich noch mehr. Wollte er mich, um an Macht zu gewinnen, oder um seine Seele aus der Verdammnis zu befreien? Vermutlich beides, in eben dieser Reihenfolge.
Ich atmete tief ein und aus, um meiner Panik Herr zu werden. Selbst wenn ich mich ordnungsgemäß an die Regeln hielt, ich nicht aus Versehen eine Seele spiegelte und Faylin einsah, dass ich nicht mehr war als das Blutmädchen von Damontez Aspertu: Es lauerten noch viele andere Gefahren auf dem Ball. Was würde mit mir geschehen, wenn ich auf einen Trick der Seelenlosen hereinfiel? Was würden sie sich einfallen lassen, um mich zu ködern?
Fast drei Stunden hatten zwei Vampirinnen an mir herumgefummelt: Zuerst hatten sie mich ohne Rücksicht auf mein Schamgefühl in die Wanne gesteckt und großzügig Öl und Rosenessenz in das Badewasser gegossen. Anschließend wurden meine Haare einshampooniert, gespült, mit einer Kur gepflegt und wieder gespült. Als ich nach einer Stunde aus der Wanne entlassen wurde, war meine Haut schrumplig und sah überhaupt nicht so aus, als könnte man mich in absehbarer Zeit in die Gesellschaft der Vampire
Weitere Kostenlose Bücher