Spiegelblut
mich aufzurichten, musste mich aber mit den Händen abstützen, da ich das Gefühl hatte, der Raum würde kippen. Ich fokussierte das Feuer, wartete einige Sekunden, bis der Schwindel abklang.
»Uns ist nichts anderes bekannt.«
»Warum …« Ich sortierte meine Gedanken, ich wusste nicht, wieso ich davon ausgegangen war, er wäre nicht mehr am Leben. »Weshalb haben die anderen Vampire ihn nicht getötet?«
»Du meinst aus Rache? Weil sie durch ihn ihre Seelen verloren?«
Ich nickte nur.
Er griff nach einem schmiedeeisernen Schürhaken des Kaminbestecks und schob die Holzscheite zurecht. Funken stoben ihm ins Gesicht und er zuckte zurück, fast als fürchtete er sich.
»Nicht alle Vampire verurteilen diese Tat. Außerdem hat Faylin selbst nie behauptet, der Eine zu sein. Er hat es aber auch nie abgestritten. Man unterstellt es ihm einfach aufgrund seiner Kaltblütigkeit, und er sonnt sich ein wenig in diesem zweifelhaften Ruhm. Gerade dadurch hat er Anhänger gewonnen. Wer sich dem Bösen anschließt, braucht es nicht zu fürchten.« Er griff nach einem Becher auf dem Kaminsims und drückte ihn mir in die Hand. »Austrinken!«
»Seitdem ich Glynis’ Tee nicht mehr bekomme, geht es mir viel besser«, sagte ich nur und nippte ein bisschen an der Hühnerbrühe. Scheußlich !
Damontez zog die linke Augenbraue hoch: »Sie meinte, ich solle dich zukünftig nach den alten Traditionen bestrafen.«
»Was ist das?«, fragte ich argwöhnisch.
Sein Mundwinkel zuckte: »Messer und Peitsche.«
Ich versenkte meinen Blick in der Tasse und spürte heiße Wut auf die Rothaarige in mir aufsteigen. Sie hatte nicht nur versucht, mich umzubringen, sondern hetzte jetzt auch noch Damontez gegen mich auf. Messer und Peitsche!
Schnell wechselte ich das Thema: »Was macht Faylin denn? Warum gilt er als kaltblütig?«
Damontez sprang darauf an. »Er führt einen erbarmungslosen Krieg gegen die Angelus. Zeitgleich versucht er, Remos Macht an sich zu reißen. Wir sind nur vor ihm sicher, weil ich Remos Seelenbruder bin und Remo und er auf derselben Seite stehen. Eine befristete, sehr instabile Armandorma, eine Waffenruhe, wie ihr sagt.«
Angelus. Vampire, von den Engeln abstammend. Ich beobachtete die Flammen und dachte an den Engel, der mir im Schnee erschienen war. Kyriel. Hatte ich ihn mir eingebildet? Er sagte, ich würde finden, wenn ich wüsste, was ich suchen müsste. Was musste ich suchen? Wie konnte ich den Fluch der Seelenbrüder brechen? Musste ich das überhaupt oder wäre es mir immer noch möglich, meinem Schicksal davonzulaufen?
Ich wusste immer noch nicht, ob Damontez in Zukunft wieder mein Blut fordern würde. Er hatte mich unter seine Obhut gestellt, den Grund dafür kannte ich jedoch nicht. Laut Myra und Shanny war es üblich, dass Vampire das Blut dieser Mädchen nahmen. Meines hatte er genommen, um mich zu bestrafen, weniger um sich zu nähren. Sollte seine Obhut ein Schutz vor anderen sein? Eine Tarnung, so wie Glynis es behauptet hatte? Aber wieso verlangte er, auch wenn wir alleine waren, das Einhalten dieser furchtbaren Regeln?
Damontez zog sich den Hocker eines Ohrensessels heran und setzte sich neben mich. »Die Nefarius versuchen, alle Clans der Angelus einzunehmen«, redete er jetzt weiter. »Und sie wollen das Königshaus stürzen. Jahrelang verurteilte man sie. Sie hatten weniger Rechte, aber mehr Pflichten. Sie durften nicht an der Gesellschaft der Lamiis Angelus teilhaben. Man zog die Grenzen ihrer Jagdgebiete immer enger und stigmatisierte sie mithilfe der Divina, denen es möglich war, sie von den anderen zu unterscheiden. Man brannte ihnen mit Licht ein N auf die Brust – sofern man sie nicht sofort tötete. Im letzten Jahrhundert wurden es so viele, dass wir sie kaum noch unter Kontrolle hatten. Sie sagen, eine schlechte Tat soll nicht ein ganzes Leben bestimmen.«
»Ist da nicht sogar etwas Wahres dran?«, fragte ich und starrte weiter in die Flammen.
»Wenn es bei dieser einen Tat geblieben wäre, vielleicht. Aber die Seelenlosigkeit hat verheerende Auswirkungen. Sie treibt sie zu immer neuen Gräueltaten. Ein Nefarius empfindet kein Mitleid mehr, im Gegenteil. Seine einzige Freude besteht darin, sich Macht anzueignen und sie zu seinen Gunsten und zu seinem Vergnügen zu missbrauchen. Er kann schließlich nicht mehr lieben.«
Das hatte er schon einmal gesagt. Deswegen hatte ich auch Kjells Liebe gespiegelt: weil er sie zusammen mit seiner Seele verloren hatte.
Laut fragte ich: »Warum
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