Spiegelblut
zurückkomme.«
»Aber du bist ein Raumkrümmer! Wähle einen Ort vor dem Palast, wo sie dich nicht vermuten, und flieh! Bitte, Eloi!«
»Nein«, sagte er bestimmt und schüttelte den Kopf. »Ich bin schon einmal geflohen, Coco. Damals habe ich meine eigenen Leute im Stich gelassen. Ich laufe nie mehr davon.«
Seine Hände hingen hilflos in der Luft, als wüsste er nicht, was er mit ihnen anstellen sollte. Es waren dieselben Hände, die mich geprügelt hatten, aber jetzt war keine Zeit, um Vergangenes aufzuarbeiten.
»Was weißt du über das Spiegelamulett von Papa.« Wenn ich eines bei Damontez gelernt hatte, dann war es zu unterscheiden, was wichtige und was unwichtige Fragen waren.
»Über das Amulett von Henri? Nicht besonders viel.« Das Thema machte ihn sichtlich nervös, außerdem log er. Er mochte jetzt trocken sein, aber seine Gestik hatte sich nicht verändert. Dieses Kratzen an der Stirn war verräterisch und schmerzlich vertraut.
»Die Zeit der Halbwahrheiten ist vorbei, Eloi! Wir stehen in einer Toilette im Schloss des bösartigsten Vampirs dieser Erde. Ich kann nicht fassen, dass du wirklich hier bist, aber ich möchte es gerne glauben. Ich möchte wirklich gerne glauben, dass ich nicht der Illusion eines Lichtträgers unterliege. Du hast mir jahrelang Märchen erzählt. Jetzt will ich die Wahrheit.«
Eloi seufzte und hielt einen Moment inne, indem er vorgab, Geräuschen von draußen zu lauschen. Dann drängte er mich in die Toilettenkabine und schloss uns ein.
»Als ich mich ein paar Ursprünglichen anschloss, war ich fünfzehn«, begann er schließlich. »Schon damals bin ich gerne um die Häuser gezogen und hab ein bisschen viel getrunken. Bei einem nächtlichen Streifzug lernte ich Louis kennen, einen Studenten aus Paris, vier Jahre älter als ich, ziemlich cool, mit Lederjacke und eigener Harley. Er hatte dieses seltsame Tattoo zwischen den Augenbrauen und tat mächtig geheimnisvoll, fragte mich, ob ich mit ihm und seinen Kameraden besondere Abenteuer erleben wollte. Wollte ich natürlich. Mit fünfzehn will keiner ein normales Leben. Ich ging mit ihm, ließ alles hinter mir. Alles war besser als gewöhnlich.«
Wie paradox! War es doch das, was ich mir am meisten wünschte! Er hatte mir nie davon erzählt. Und meine Maman hatte es nicht gekonnt, weil ich noch zu klein gewesen war.
»Sie bildeten mich aus. Ich eignete mich für Raumkrümmung. Mein Engel hieß … ich hab’s vergessen, was mit N … keine Ahnung. In diesem Jahr lernte ich auch Amanda kennen, ein Mädchen aus den Staaten. New York, glaub ich. Louis und die anderen behaupteten, sie schützen zu müssen. Einer sagte mir, sie sei ein Spiegelblut. Mon dieu, was weiß denn ich, es wurde viel getuschelt, aber es gab wenig offizielle Fakten, die behielten sich ein paar der Anführer vor. Sie besaß dieses Spiegelamulett. Sie gefiel mir. Eines Tages nahm ich sie heimlich mit zu Claire und Henri. Ein Fehler. Mein größter.«
»Wieso?«
»Sie verliebte sich in deinen Vater. Allerdings war dein Vater damals schon fest mit deiner Mutter liiert, sie hatte also keine Chance. Ich kann es ihr nicht verdenken, war ein verdammt hübscher Kerl, dieser Henri.« Er schüttelte den Kopf. »Amanda und ich gingen zurück nach Paris, jagten Dämonen, beschützten sie vor den Halbseelenträgern.«
»Damontez und Remo.«
»Ihre Namen kannte ich nie. Man sagte, sie würden die Spiegelseelen suchen, um den Fluch zu brechen. Würden ihnen schreckliche Dinge antun.«
»Es geht so!« Ich glaube, er bekam gar nicht mit, was ich sagte, so verloren stand er da mit seiner Vergangenheit. Als wäre sie ein Freund aus alten Zeiten, für den er kaum noch Worte fand und der ihn heute so einsam machte.
»Unser Orden wurde überfallen. Es musste einen Verräter gegeben haben. Sechzig Nefarius mitsamt ihren Lichtträgern überwältigten uns – wir waren höchstens zwanzig.« Er atmete ruhig, aber tiefer, wie immer, wenn er versuchte, sich zu beherrschen. »Sie umstellten uns, als wollten sie ihr eigenes Jüngstes Gericht über uns abhalten.«
»Und dann?«, fragte ich, als er länger schwieg. Amybella wartete vor der Tür und würde sicher bald ungeduldig werden.
»Sie zerrten Amanda aus dem Kreis, stachen ihr die Diamantsonne mitten ins Herz. Einer trank das Blut, das über ihren Oberkörper floss, ein anderer füllte es sogar in eine Phiole ab. Sie entwaffneten uns, danach pickten sie uns einzeln aus dem Kreis, der Rest wurde in Schach
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