Spiegelblut
wieder zurecht, als vor der Tür ein leises Surren ertönte. Ein Wechsel von Hell-dunkel-Reflexionen drang durch den Türschlitz. Ich stolperte rückwärts an die Wand zurück, als ich mich sowohl an das Geräusch als auch an den Farbwechsel erinnerte. Ein Raumkrümmer! Milo? Zusammen mit Remo und Kjell? Die Reflexionen drehten sich langsamer, fast wie der Flügelschlag einer zum Stillstand kommenden Windmühle. Hier in der engen Toilette säße ich in der Falle.
Ohne nachzudenken, stürmte ich in die weiß gekachelten Vorräume. In dem Moment riss die Luft gleich einer Erdspalte auf. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Gestalt, die ihr entstieg wie einer Gruft. Noch ehe ich schreien konnte, legte sich eine Hand auf meinen Mund, ein Arm schlang sich um meine Hüften. Ich rammte meinen Ellbogen nach hinten und hörte einen unterdrückten Aufschrei.
»Hör auf, Coco!«
Während ich erneut nachsetzte, wich meine Angst. Die Stimme kannte ich gut. Ich blieb ganz still, die Hand auf meinem Mund wurde zurückgezogen, ebenso löste sich der Arm, der meine Taille umklammerte. Die Hände vor das Gesicht geschlagen drehte ich mich um.
»Eloi«, wisperte ich halb entsetzt und halb glücklich. Ich musste träumen. Das konnte nicht sein. »Was machst du hier? Wie kommst du hierher?«
Die letzte Frage beantwortete sich natürlich von selbst, denn ich kannte sein Stirnsiegel und hatte die Raumkrümmung eben mit eigenen Augen gesehen.
»Hab gehört, du bräuchtest Hilfe«, sagte er mit schiefem Grinsen und im nächsten Moment drückte er mich so fest und liebevoll an seine Brust, wie ich es mir in all den Jahren gewünscht hatte.
»Eloi …«
Ich hatte so viele Fragen, aber ich konnte ihn nur anstarren. Er sah so jung aus, nein, er war jung, gerade 33 Jahre alt, doch zum ersten Mal konnte ich es wirklich sehen. Seine Haut war glatt, das Gesicht nicht aufgedunsen und er trug sein dunkelblondes Haar armeekurz und wirkte mit dem grünen Shirt wie ein Soldat auf Heimurlaub. Ich wollte mit ihm fliehen, jetzt gleich, um dieser Welt für immer zu entkommen. Aber Eloi schien in dieser Umgebung zu unwirklich und meine Flucht konnte unmöglich so leicht sein.
»Von wem weißt du, dass ich hier bin?«, fragte ich, als er einen Schritt zurück machte. Ich ließ meine Hände auf seinen Unterarmen liegen, als fürchtete ich, er wäre tatsächlich nur eine Illusion.
»Einer von Faylins Männern. Er sagte, ein Halbseelenträger hätte dich in seiner Gewalt und heute sei eine gute Gelegenheit, dich zu befreien. Ich wusste ja, dass du in Gefangenschaft warst, dieser Pontus kam zu mir …«
»Einer von Faylins Männern?« Misstrauen breitete sich in mir aus. »Aber wieso kommst du dann nicht durch die Tür?«
»Es sind nur wenige eingeweiht. Außerdem soll es für alle aussehen, als hätte dich ein Raumkrümmer von Remo entführt.«
»Und woher wusstest du, wo ich war? In dieser Toilette?«
»Ein Visionär, ein Seher.«
»Ein Seher?«
»Ein Lichtträger, der eine mögliche Zukunft sehen kann. Meist taugen sie nicht viel, doch dieser hatte recht.«
»Das ist eine Falle, Eloi! Sie wollen mich von Damontez weglocken. Wer immer sich das ausgedacht hat, er meint es ganz sicher nicht gut mit uns. Wo sollst du mich hinbringen?«
»In ein angrenzendes Gebäude, nicht sehr weit weg, zu mehr reicht es auch noch nicht, was meine Fähigkeiten angeht.«
Ich ließ ihn los. »Dann kannst du uns also nicht nach Amerika oder sonst wohin bringen?«, fragte ich und versuchte, ihm zuliebe tapfer zu klingen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich in meiner Fantasie frei gewesen.
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Noch nicht.«
»Und ein paar Mal in kleinen Abständen? Wir könnten in die Stadtmitte und von dort …« Meine Stimme überschlug sich vor Aufregung.
»Nein«, unterbrach er mich. »Ich schaffe den Raumsprung gerade zweimal hintereinander. Wenn ich Glück habe dreimal, aber das kann mitunter auch schiefgehen.«
»Was hat man dir versprochen?«
»Deine Freiheit«, sagte er so traurig, dass mein Herz schwer wurde.
»Und was erwartet man als Gegenleistung?«
»Ich soll meine Fähigkeiten zukünftig Faylins Clan zur Verfügung stellen. Raumkrümmer sind rar, immer noch.«
»Du musst gehen«, flüsterte ich verzweifelt. »Ohne mich! Sie würden mir niemals die Freiheit schenken. Und dich würden sie töten, weil du zu viel weißt.«
»Wenn es tatsächlich eine Falle ist, töten sie mich sowieso, egal, ob ich mit dir oder ohne dich
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