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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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lieber. Irgendetwas Abstoßendes hatte sich in seinen Gesichtszügen eingenistet. Und er wirkte nicht sonderlich gesund, seine Nase war spitz, die Wangen blass und eingefallen.
    Er musterte Ksü mit einer Mischung aus Gier und gespielter Überraschung. Ingrid hatte ihn sicher vorab informiert, dass ich Besuch mitgebracht hatte, und was für einen. Er musste mit ihr gerechnet haben.
    Ich konnte genau sagen, was er gerade dachte. Das ist also dieses unerzogene Mädchen, das so freakig aussieht, dass man sich in ihrer Gesellschaft auf der Straße schämen müsste. Hoffentlich haben die Nachbarn das nicht mitgekriegt.
    Auch Ksüs Gedanken konnte ich lesen. Das ist also der Mann, der sich darüber freut, dass seine Exfrau verschwunden ist, weil sie eine Phee ist, weil sie gefürchtet und verachtet wird, weil sich hier niemand dafür interessiert, ob sie noch lebt und wie.
    Mein Vater gab Ksü nicht die Hand, obwohl sie sichtlich damit rechnete. Ich konnte sehen, wie angespannt ihr Unterarm war. Sie wartete ein paar Augenblicke und steckte ihre Rechte enttäuscht in die Hosentasche.
    »Das ist Ksenia Okasaki, meine Schulfreundin«, sagte ich in das Schweigen hinein. »Das ist mein Vater, Herr Doktor Rudolf Rettemi.«
    Ksü verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, das etwas hilflos wirkte. Mein Vater sah sie weiter an. Wir warteten, die Stille schien zu knistern. Dann ging mein Vater an uns vorbei in die Küche, als wären wir Luft.
    Ksü rührte sich nicht und auch ich war plötzlich völlig verunsichert. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Ich hatte so viele Fragen im Kopf, in die ich versinken wollte. Und auch wenn ich ohne Ksü verloren war, hatte ich doch das Gefühl, allein sein zu müssen. Mir schoss durch den Kopf, dass das eben der Nachteil war, wenn man sich mit jemandem bei sich zu Hause traf und nicht auf neutralem Boden: Man konnte sich nicht einfach so zurückziehen, sondern musste warten, bis der Gast wieder gegangen war.
    »Ivan ist gleich da«, sagte Ksü plötzlich, nachdem wir uns wieder in mein Zimmer geflüchtet hatten. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.
    »Ivan? Wieso?«
    »Er holt mich ab. Hatten wir ausgemacht.«
    »Du wirst abgeholt?« Ich war erstaunt. Bei ihr war alles so anders als bei mir – und trotzdem konnte sie auf einmal nicht allein nach Hause finden?
    »Es ist schon dunkel.« Ksü sah aus dem Fenster. »Ivan macht sich Sorgen, wenn ich nachts allein durch gefährliche Viertel fahre.«
    Das klang mir zu vertraut.
    »Deine Eltern arbeiten sehr viel, kann es sein?«, fragte ich.
    Ksü sah mich an. Die Schlange sah mich an.
    »Nein«, sagte Ksü. »Das tun sie nicht mehr.«
    Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ich wusste nicht, ob ich jetzt noch weiterfragen durfte. Was ich ihr jetzt noch sagen sollte. Ich wollte mich für diesen Nachmittag entschuldigen, doch die Worte klebten schwer an meinem Gaumen. Und ich schämte mich, wie meine Großmutter und mein Vater mit ihr umgegangen waren. Es war nicht überraschend, aber das machte die Sache nicht angenehmer. Meine Mutter wäre nett zu Ksü gewesen. Sie hatte niemanden schlecht behandelt, nur weil er seltsam aussah. Schon gar kein Mädchen meines Alters.
    Ivan klingelte schon ein paar Minuten später. Ich begleitete Ksü zur Haustür. Dort stand bereits Ksüs Bruder und unterhielt sich mit meinem Vater. Wahrscheinlich hatte Ivan irgendetwas richtig gemacht, jedenfalls war mein Vater zu ihm viel freundlicher als zu Ksü. Wenigstens musste ich mich da nicht schämen. Oder doch, gerade deswegen? Mein Vater lächelte ein Lächeln, das mir etwas unterwürfig vorkam. Ivan lächelte höchst sparsam zurück.
    Vielleicht mochte mein Vater den Anzug, den Ivan trug, vielleicht gefiel ihm die Tasche, die Ivan über der Schulter hängen hatte, vielleicht sprach der kleine runde Anstecker auf Ivans Revers, ein silbernes Y auf dunkelrotem Hintergrund, eine Sprache, die ich nicht kannte, die aber meinem Vater vertraut war. Jedenfalls lag es wohl kaum an Ivans Gefährt, das mit angelassenem Motor vor unserer Einfahrt stand. Aus dem Auspuff drängten rote Flammen und das ganze Ding zitterte wie ein wildes Tier, das angebunden worden und gerade dabei war, sich wieder loszureißen. Ich schätzte, dass sämtliche Nachbarn in den Fenstern hingen, um die lärmende Höllenmaschine zu bestaunen, auf welcher der Besuch der Rettemis angerast gekommen war.
    Ich spürte eine leise Genugtuung darüber, dass Ivan nicht allzu

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