Spiegelkind (German Edition)
freundlich zu meinem Vater war. Papa hatte es nicht besser verdient. Irgendwas an Ivans Höflichkeit kam mir hämisch vor. Erst als er uns oben auf der Treppe sah, entspannte sich sein Gesicht. Ich hoffte, dass ein kleiner Teil seines Lächelns mir galt.
»Tschüss.« Ksü knuffte mich mit sichtlicher Erleichterung in die Seite, dann drehte sie sich zu meinem Vater: »Auf Wiedersehen und vielen Dank für die Gastfreundschaft.«
»Tschüss, komm bald wieder!« Jetzt streckte mein Vater ihr die Hand entgegen. Ich schämte mich in Grund und Boden. Wäre er jetzt weiter unfreundlich, hätte es wenigstens Stil.
»Bis morgen!«, rief ich und rannte zum Fenster, um zu beobachten, wie Ksü ihr Moped aus unserer Einfahrt herausführte, wie Ivan ein Seil um dessen Hörner warf, wie die beiden innerhalb kürzester Zeit verschwanden, als wären sie nie da gewesen, nur der Nachhall ihres Geknatters löste sich langsam in der Nacht auf.
Als ich nichts mehr von ihnen sehen oder hören konnte, drehte ich mich zu meinem Vater um.
»Ich muss mit dir reden«, sagte ich.
Mein Vater nickte. »Ich mit dir auch.«
Wir gingen an Ingrids neugieriger Nase vorbei ins Wohnzimmer. Mein Vater schloss die Tür. Sie quietschte dabei leise, Papa runzelte die Stirn.
»Muss geölt werden«, murmelte er. Er setzte sich auf die Couch, ich blieb stehen, die Arme über der Brust gekreuzt.
Ich wollte ihm unbedingt sagen, wie schrecklich ich sein Gehabe fand. Ich brauchte eine Weile, um meinen Mut zusammenzunehmen. Und während ich Gedanken und Worte ordnete, kam er mir zuvor.
»Juliane, heute hast du es überzogen. Ich verstehe ja, dass du gerade jeden und alles provozieren willst, aber es hat Grenzen. Ich werde es nicht weiter dulden.«
»Bitte was?«
»Stell dich nicht so dumm. Solchen Abschaum heimzubringen, das ist schlimmer als …«
»Warum hast du dann ihren Bruder so angeschleimt?«
Papas Augenlid begann zu zucken. »Sei still, wenn du keine Ahnung hast!«
»Du hast doch selber keine«, sagte ich.
»Du wirst mit diesem … Gör keinen Kontakt mehr haben!«
Ich kniff ein Auge zusammen und versuchte selber, ein bisschen zu schielen. So konnte ich mir leichter vorstellen, dass da gerade nicht mein Vater redete, sondern ein wildfremder Mann.
»Machst du mich nach?« Er schnaufte wütend.
»Du hast die Schule bestochen, damit ich die Patenschaft wieder abgenommen bekomme, stimmt’s?« Ich entspannte meine Augenmuskeln wieder.
Mein Vater stockte. Sein Augenlid zuckte weiter.
»Wer hat dir das erzählt?«, fragte er leise. Ich hatte also ins Schwarze getroffen. Ksü hatte recht gehabt. Sie wusste, wie er tickte, noch bevor sie ihn kennengelernt hatte.
Mein Vater stand wieder auf. Es behagte ihm offenbar nicht, im Sitzen zu mir aufschauen zu müssen. »Es ist nur zu deinem Besten.«
»Selbstverständlich! Als Nächstes behauptest du, dass mir nichts Besseres passieren könnte, als dass meine Mutter endlich mal verschwindet.«
Ein Krampf brachte die Gesichtszüge meines Vaters für den Bruchteil einer Sekunde durcheinander, dann glättete sich alles wieder.
»Hast du dir deine sogenannte Freundin schon mal richtig angeschaut?«, fragte mein Vater sehr, sehr leise.
»Denkst du, ich mach immer die Augen zu, sobald sie auftaucht?«, presste ich zwischen den Zähnen hervor. »Aber ich muss sie nicht heiraten und du auch nicht.«
»Juliane!« Meinem Vater riss allmählich der Geduldsfaden. »Du bist genau wie deine Mutter!«
»Das hoffe ich!«, brüllte ich zurück.
An der Tür wurde gerüttelt und dann sahen wir Kassies neugieriges Gesicht im Türspalt. »Was ist denn hier los?«, fragte sie.
»Raus!«, riefen mein Vater und ich gleichzeitig.
Von meiner kleinen Schwester abgelenkt, wussten wir beide nicht mehr genau, wo wir stehen geblieben waren. Mein Vater kam auf mich zu und packte meine Hände. Seine Finger waren kalt und ein wenig feucht, so ähnlich stellte ich mir Froschhaut vor. Ich konnte an nichts mehr denken, außer dass er mich bitte endlich loslassen sollte.
»Juliane. Hast du denn nicht sofort gesehen, dass sie ein Freak ist?«
»Sie sieht nur so aus. Wenn sie ein Freak wäre, könnte sie nicht auf das Lyzeum.«
»Aber sie ist nun mal da«, spuckte mein Vater aus. »Das ist bestimmt wieder eins von diesen wohltätigen Projekten, das sich irgendjemand im Tablettenrausch ausgedacht hat. Ich werde mich morgen beschweren.«
»Wirst du nicht«, sagte ich. »Sie ist kein Freak.«
Mein Vater raufte sich die
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