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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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gekostet hat.
    »Wann kommst du nach Hause?«, frage ich.
    Sie sieht mich nur an.
    »Das kannst du nicht, oder? Natürlich nicht. Sie werden dich schnappen und …«
    Mir wird schlecht, ich halte mir die Hand vor den Mund.
    »Außer, dein Vater nimmt seinen Antrag zurück und setzt sich dafür ein, dass ich rehabilitiert werde«, sagt meine Mutter.
    »Das wird er nicht tun«, sage ich bitter.
    Meine Mutter schüttelt traurig den Kopf.
    »Oh, doch, das wird er«, sagt sie.

Immer zusammen
    Als Ksü aufwacht, ist sie verwirrt. Es dauert, bis sie versteht, wo sie sich befindet. Sie spritzt sich am kleinen Waschbecken Wasser ins Gesicht, setzt sich an den Tisch und verfällt in bedrücktes Schweigen. Ich weiß genau, worüber sie gerade nachdenkt.
    Bis eben ist es umgekehrt gewesen. Ich habe mir Sorgen um den Menschen gemacht, den ich am meisten auf der Welt liebe. Jetzt ist genau das Gleiche Ksü passiert.
    Sie sieht meine Mutter an, endlich ohne Ehrfurcht, mit einem offenen, traurigen Blick.
    »Was ist nur los mit mir?«, fragt sie.
    »Es führt kein Weg dran vorbei«, sagt meine Mutter. »Es muss so wehtun. Es macht überhaupt nicht glücklich, als Einziger von der Familie in Sicherheit zu sein. Ich weiß es.«
    Ksü nickt, schaut sich um. Ihr Blick streift die Holzwände, die weißen Vorhänge an den Fenstern, die herunterhängenden Kräuterbündel.
    »Dann ist das alles wahr?«, fragt sie.
    Meine Mutter nickt.
    »Wir sind in ein Quadrum geflohen. Aber wann können wir wieder zurück?« In Ksüs Augen blitzt Verzweiflung auf und ich weiß, dass sie an Ivan denkt.
    »Jederzeit«, sagt meine Mutter. »Aber du musst dich nicht beeilen. Du kannst dich erst mal erholen.«
    Ksüs Blick wird wieder leer. Sie erwidert nichts. Ich weiß nicht, ob sie meiner Mutter glaubt. Die Vorstellung, wieder auf die andere Seite des Quadrums wechseln zu müssen, lässt mich innerlich aufschreien. Ich will da nicht noch mal hin. Und ein Teil von mir denkt – Ivans Schicksal ist Ksüs Problem. Das hat mit mir nichts zu tun.
    Aber dann denke ich an meine Geschwister. Ich schaue meine Mutter an. »Können die Zwillinge nicht zu uns kommen? Nicht nur im Traum, sondern richtig? Ich meine, sie würden es doch wollen, oder? Warum holst du sie nicht?«
    Lauras verschiedenfarbige Augen werden dunkel.
    »Ja.« Sie klingt dumpf, als würde ein Echo meine Worte leicht verändert wiedergeben. »Sie können hierher. Und sie werden es wollen.«
    Ksü schläft viel in dieser Zeit. Manchmal liegt sie auch wach mit dem Gesicht zur Wand, flüstert etwas und ihre Schultern zucken. Meine Mutter sagt, ich soll sie in Ruhe lassen. Sie ist dabei, sich zu erinnern, und man darf sie nicht stören.
    »Woran erinnert sie sich?«, frage ich.
    »Das sagt sie dir selber, wenn sie will.«
    So ist es immer mit meiner Mutter. Ich akzeptiere das. Meine Lust, Fragen zu stellen, sinkt auf den Nullpunkt. Meine Mutter und ich, wir verbringen Stunden zusammen, manchmal ganz ohne zu reden. Es ist merkwürdig und nicht langweilig. Ich sitze neben meiner Mutter, unsere Knie berühren sich und mir wird klar, dass ich inzwischen fast so groß bin wie sie.
    Manchmal spricht Mama. Ich höre einfach zu, wenn sie erzählt. Ihre Worte fließen dahin, und gerade weil sie nicht bitter sind, weil sie sich Mühe gibt, beiläufig und ohne Schuldzuweisungen zu sprechen, trifft mich das Entsetzen mit voller Wucht. Ich bin so wütend, dass meine Hände sich verkrampfen, den Griff eines unsichtbaren Schwerts umklammern, mit dem ich diejenigen, die ihr das angetan haben, in Stücke hacken will.
    Als sie das merkt, legt sie ihre Hand auf meine Faust, die sich unter der Berührung langsam wieder öffnet.
    »Als ich so alt war wie du, ging es mir ähnlich«, sagt sie.
    »Wie?«, presse ich zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Ich war auch blind vor Wut.«
    »Du?« Ich schaue sie erstaunt an. »Kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Oh, doch.« Sie lächelt, doch die Augen bleiben traurig. »Und bis heute bereue ich die Dinge, die ich damals getan habe.«
    »Das ärgert mich«, sage ich. »Es gibt niemanden, der Pheen wie dich schützt. Einige versuchen es, aber sie sind so hilflos. Nur du kannst dir selbst helfen. Du darfst nicht immer so nachsichtig sein.«
    »Nachsicht ist auch ein Selbstschutz«, sagt meine Mutter. »Es gibt Pheen, die an ihrem eigenen Hass von innen verbrannt sind. Und bitte glaub nicht, dass Pheen harmlos sind. Du wirst kaum eine treffen, die nicht eine ziemlich

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