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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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voneinander. Aber es geht nicht um sie. Es sind noch mehr Menschen im Raum, ich strenge mich an, um sie zu zählen, mindestens fünf müssen es sein. Sie sind viel weniger aufgeregt, ihre Herzen klopfen anders. Sie riechen auch anders, viel schwächer, obwohl ich die Geräusche, die sie produzieren, sehr gut hören kann. Seltsam, dass ich sie kaum rieche, denke ich. Duschen sie häufiger als die Wachleute? Haben sie sich irgendwas übergesprüht, was Düfte neutralisiert und keinen Eigengeruch hat? Und warum sollten sie das getan haben, wie können sie wissen, dass meine anderen Sinne sich schlagartig verschärft haben, seit ich nicht mehr sehen kann?
    Diese Fragen beschäftigen mich plötzlich so, dass ich fast vergesse, wo ich gerade bin. Fast falle ich vom Hocker. Den Wachen entfährt ein Lachen, ich muss wirklich komisch aussehen.
    Dann verstummen sie schlagartig, ich drehe den Kopf in ihre Richtung, muss ich mir Sorgen um sie machen?
    Es gibt etwas, was mich plötzlich mehr irritiert als alles andere. In der Richtung, in der fünf Ruhige sitzen und schweigen und nicht einmal riechen, gibt es noch einen sechsten. Sein Puls rast noch mehr als bei den Wächtern. Ich höre ihn nervös schlucken. Sein Atem geht schwer. Ich schnuppere angestrengt. Ich glaube, dass der Dufthauch, den ich endlich erwische und gierig in mich hineinziehe, von ihm stammt. Es riecht so schmerzhaft vertraut, dass mein Herz vor Kummer und Enttäuschung fast auseinandergerissen wird.
    »Juliane Rettemi.«
    Wenn die Stimme, die hier meinen Namen ausspricht, wenigstens hässlich wäre, heiser oder lächerlich hoch, krächzend oder quiekend. Aber es ist eine samtige, angenehme, Zuversicht verströmende Stimme. Sie kommt aus der Richtung mit dem gleichmäßigen Pulsschlag. Kein Gluckern im Magen, denn er ist sicher mit leicht verdaulichen, vitaminreichen Sachen gefüllt. »Endlich sehen wir uns, Juliane.«
    »Ich kann Sie nicht sehen«, sage ich.
    Die Wachen prusten los und verstummen wieder sofort. Einer verschluckt sich und hustet.
    »Wie fühlst du dich?«, fragt die Stimme.
    Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bewege meine vor Kälte tauben Zehen, danke Ingrid in Gedanken kurz dafür, dass sie mich wenigstens ein Bad nehmen ließ, bevor sie mich der Polizei auslieferte. Dann straffe ich meine Schultern. »Danke, sehr gut«, sage ich.
    »Das freut uns«, sagt die Stimme. »Du bist nicht hier, um zu leiden.«
    Ich schweige. Dann knurrt plötzlich mein eigener Magen. Ich finde es ohrenbetäubend. Aber die Wachen halten diesmal ihre Klappen. Wenigstens das.
    »Wir werden uns unterhalten, Juliane«, sagt die geschmeidige Stimme. »Es wird lange dauern, fürchte ich. Es gibt so vieles, was du uns unbedingt erzählen musst.«
    »Ich habe Zeit«, sage ich und runzele die Stirn in die Richtung des klopfenden Herzens. Wieder ziehe ich die Luft ein. Wer sitzt da?
    Und da verstärkt sich das Pochen. Ich bin mir jetzt sicher, um welches Herz es sich handelt. Wenn ich in eine bestimmte Richtung schaue, bekommt, wer da sitzt, Panik. Warum? Hat er Angst, dass ich ihn erkenne?
    Ich tue ihm den Gefallen und drehe mein Gesicht weg. Und nehme einen langen, erleichterten Atemzug wahr.
    »Wie viele sind Sie überhaupt?«, frage ich im Plauderton und versuche, mich etwas bequemer hinzusetzen, was mit hinter dem Rücken zusammengebundenen, mit einer Metallkette beschwerten Händen nicht das Einfachste ist.
    »Schätz mal«, schlägt die Stimme vor.
    »Drei«, sage ich sofort.
    »Fast«, erwidert die Stimme gönnerhaft. »Aber du bist nicht da, um zu fragen, Juliane. Sondern, um zu antworten.«
    »Dann fragen Sie«, sage ich. »Aber ich kann mich viel besser konzentrieren, wenn ich etwas bequemer sitzen und die Hände frei haben könnte.«
    »Wir nehmen es zur Kenntnis«, sagt die Stimme. »Was die Handschellen angeht, kann ich dir allerdings nicht helfen. Die Maßnahmen sind für unsere Sicherheit gedacht, genauso wie die Wand.«
    Die Wand. Das also ist der Grund, warum ich sie zwar höre, aber nicht rieche. Ein durchsichtiger Kunststoff, der Schallwellen, aber keine Gerüche durchlässt. Bestimmt aus dem HYDRAGON-Labor.
    »Wofür die ganze Mühe?«, frage ich. Es interessiert mich wirklich. »Was genau ist an mir so gefährlich?«
    »Das wirst du uns gleich erklären«, sagt die Stimme. »Was hast du mit dem Polizisten gemacht, der bei deiner Verhaftung ums Leben gekommen ist?«
    »Ums Leben gekommen…« Ich verschlucke mich kurz. »Ich habe gar nichts gemacht. Ach

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