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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Raum.
    »Ich habe ein Quadrum deiner Mutter gesehen«, sagt die erste, sanfte Stimme, die jetzt etwas verunsichert klingt, was ich nicht verstehe.
    »Dann haben Sie auch den Wald gesehen«, sage ich müde.
    Und wieder breitet sich Schweigen aus. Ich unterbreche es irgendwann mit der Klage, dass ich gleich vom Stuhl rutsche. Zu sagen, dass mir vorher noch der Hintern abfällt, verkneife ich mir. Ich spüre eine seltsame Zufriedenheit. Irgendwie habe ich es geschafft, sie zu beeindrucken.
    Meine Beschwerden finden kein Gehör.
    Die fünf auf der anderen Seite der Scheibe stecken offenbar die Köpfe zusammen und flüstern. Sie können ja nicht wissen, dass sie genauso gut einen Lautsprecher nehmen könnten.
    »Sie ist noch ein Kind…«
    »Wir brauchen sie lebend.«
    »Nein.«
    Es sind fünf, die aufgeregt miteinander streiten. Ich spüre, wie meine Mundwinkel sich spöttisch verziehen. Aber anstatt blöd zu grinsen, sollte ich lieber darüber nachdenken, warum der Sechste, der neben ihnen sitzt, nicht mitredet. Sein Herz pocht immer noch so schnell, dass sein Kreislauf das bestimmt nicht mehr lange mitmacht.
    Ich kann plötzlich nicht mehr, sacke zusammen, strenge mich an, um nicht vom Hocker zu rutschen, der immer mehr Schräglage bekommt. So erscheint es mir jedenfalls. Der Befehl, mich zurück in die Zelle zu bringen, wird offenbar mit einer Geste erteilt, weil ich ihn nicht mitkriege, sondern plötzlich an der Kette hochgezogen werde und mit dem Gesicht auf dem Beton aufschlage.
    In der Zelle lasse ich mich auf den Boden fallen, so erschöpft bin ich. Es kümmert mich nicht mehr, ob der eklige Schmierfilm meine Wange berührt oder nicht. Meine endlich befreiten Handgelenke, links und rechts von meinem Kopf, fühlen sich nicht an, als würden sie zu mir gehören. Alles in allem hätte es auch schlimmer sein können, denke ich, während meine Nase den Bodenbelag streift. Bis auf die Fesselung hat mir niemand Schmerzen zugefügt. Sie waren fast höflich zu mir.
    Und hatten Angst, dass ich ihnen was antun könnte. Wir mussten Maßnahmen zu unserer Sicherheit ergreifen.
    Können sie alle wirklich irren? Vielleicht bin ich ja diejenige, die die ganze Zeit falschliegt und in Wirklichkeit etwas sehr, sehr Gefährliches ist.
    Ich werde abermals abgeholt und irgendwohin geschleift, wo ich auf einer Liege festgeschnallt werde. Jetzt wird es wehtun, denke ich und bereite mich darauf vor, laut zu schreien. Aber die Schmerzen halten sich in Grenzen. Eine Nadel dringt in meine Vene ein, in eine Fingerkuppe, mein Ohrläppchen. So wurde mir manchmal bei den Untersuchungen am Lyzeum Blut abgenommen. Ich werde in eine Röhre geschoben, in der irgendetwas klickt, komme aber am Stück wieder heraus. Muss meinen Mund öffnen und ein Wattestäbchen schabt an der Innenseite meiner Wange entlang.
    Zurück in der Zelle, würde ich gern für ein paar Stunden in einem traumlosen Schlaf versinken, in einem segensreichen Nichts, in dem kein einziger Gedanke meinen Kopf, kein Gefühl mein Herz quält. Aber ich bleibe wach, unwissend, ob meine Augen unter der Binde geöffnet oder geschlossen sind, weil ich meine Augenlider längst nicht mehr spüre.
    Ich lehne mich gegen die Wand, ziehe die Knie hoch, stütze die Arme darauf und bette die Stirn auf meine Unterarme.
    Und schreie auf, weil mich jemand am Fuß berührt.

Das sechste Herz
    Die Helligkeit blendet mich – so grell kommt es mir vor, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass ich dieses Licht unter anderen Umständen als schwach empfunden hätte. Erstaunlicherweise schmerzen meine Augen trotzdem kein bisschen, sie sind nur etwas empfindlich und ich schirme sie mit der Hand ab. Das Kind sitzt zu meinen Füßen, diesmal ist es besser drauf. Es lacht und zeigt mir zwei Schneidezähne oben und zwei unten. Wieso freut es sich derart, mich zu sehen, denke ich mürrisch. Ich entziehe dem Kind meinen Fuß. Es geht in den Vierfüßlerstand und krabbelt auf mich zu.
    Die Verbände unter der Latzhose sind schmutzig und riechen schrecklich, nach Medikamenten und Blut, nach Angst und Schmerz.
    »Wer hat dich eigentlich so zugerichtet?«, frage ich und strecke dem Kind widerwillig meinen Zeigefinger entgegen. Es setzt sich auf und packt meine Hand, die scharfen Fingernägel kratzen auf meiner Haut herum.
    Ich sehe zum Gitter hoch. Da sind sie, die Haare und Spinnweben. Da sind sie, die Flecken. Seltsam, dass ich das alles nicht tasten konnte.
    Gar nicht seltsam. Es ist ganz einfach. Das Kind kommt nur,

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