Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
keine Försterin.«
    »Sie haben uns bis jetzt nicht allzu sehr weitergeholfen, Juliane.«
    »Das tut mir leid.«
    »Muss es nicht. Sie werden es noch.«
    »Was soll ich tun?«
    »Sie tun gar nichts mehr. Das erledigen schon wir.«

Scheiterhaufen
    Nach dieser Befragung bekomme ich Angst. Die Stimmung scheint gekippt zu sein. Ich spüre eine Unruhe um mich herum, die mir langsam unter die Haut kriecht. Ich warte, dass ich endlich einschlafe, damit ich das Kind treffen kann. Noch nie habe ich mich so darauf gefreut. Dann wäre ich endlich nicht so allein mit meiner Angst und meinen Sorgen. Da ich aber so aufgedreht bin, kann ich natürlich nicht einschlafen.
    Ich versuche, mich zu entspannen, was in der Situation absolut lächerlich ist. Ich lehne meinen Hinterkopf gegen die Wand und zähle ab hundert rückwärts, gedanklich nach dem Schalter tastend, der den Wechsel vom Wach- zum Schlafsein möglich macht. Ich probiere sogar, in Ohnmacht zu fallen, indem ich die Luft anhalte und die Augen verdrehe. Je mehr ich mich bemühe, desto quälender spüre ich, dass ich dem Wachsein diesmal nicht entkomme. Ich bin gefangen in der Wirklichkeit, der schrecklichsten aller Fallen.
    Die klebrigen Hände des Kindes betatschen mein Gesicht. Offenbar hat es gedauert, bis es zu mir durchgedrungen ist. Es hebt mein Augenlid mit seinem Finger an und ich schreie auf. Dann schubse ich es weg von mir.
    »Pass mal ein bisschen auf«, sage ich. »Wirst mich noch brauchen.«
    Es schmiegt sich an und drückt mir dabei mit seinen dünnen Ärmchen den Hals zu.
    Ich rappele mich auf.
    »So, heute haben wir keine Zeit zu verlieren«, sage ich. »Du bringst mich zu deiner Mutter. Vielleicht kenne ich sie ja, hoho.«
    »Mami?«, fragt das Kind hoffnungsfroh.
    »So was von Mami«, sage ich. »Und jetzt konzentrierst du dich.«
    Erstaunt sehe ich, wie das Kind sich auf die Beine stellt und losrennt. Als wüsste es schon die ganze Zeit, wo es hinmuss, als hätte ich es bloß daran gehindert. Ich eile hinterher, ohne nach links oder rechts zu schauen. Die bereits vertrauten Gänge. Das unruhige Licht der Öllampen.
    Die Zelle, wie sie offenbar vor fünfzehn, sechzehn Jahren gewesen sein muss. Altes Gemäuer. Eine Frau, die eher wie ein junges Mädchen aussieht. Für einen Moment halte ich sie sogar für mich selber, bis ich es besser weiß. Ich erstarre, als ich sehe, was sie tut. Sie zeichnet. Und wie sie zeichnet. Und womit. Offenbar hat sie sich das Handgelenk mit den Zähnen zerfetzt. Sie fängt das Blut mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf und trägt es auf die Wand auf.
    Das Kind rennt glucksend auf sie zu.
    Sie spreizt die bluttriefende Hand ab und fängt das Kind mit dem anderen Arm auf.
    »Danke, mein Schatz«, sagt sie zu mir und schaut mich über seinen Kopf hinweg an. »Jetzt können wir gehen.«
    Dann sehe ich die Wand an. Und dann weiß ich sofort, wie sie diesen Mauern entkommen konnte.
    Auf der Wand ist ein Quadrum, das sie mit eigenem Blut gemalt hat.
    Noch bevor ich etwas sagen oder sie fragen kann, zum Beispiel, ob sie mich mitnehmen könnte, geht das Licht plötzlich wieder aus. Man reißt mich auf die Füße und ich taumele und falle gegen Körper, die zurückschrecken. Ich bin geweckt worden. Die Wachen haben es eiliger als gewohnt, als sie mich anketten und aus der Zelle zerren.
    Sie führen mich einen anderen Weg als sonst. Ich war die ganze Zeit so stolz auf meine Gelassenheit; jetzt habe ich Gelegenheit, so richtig Panik zu kriegen. Ich frage nichts, weil ich mich vor der Antwort fürchte. Soll es das jetzt wirklich sein, mein letzter Gang? Wollen sie endgültig herausfinden, dass ich keine Phee bin, indem sie mich abmurksen?
    Sie korrigieren meinen Kurs mit der schweren Kette, weil ich erst mal versuche, in die gewohnte Richtung zu laufen, in der irren Hoffnung, sie würden mich einfach nur auf einem Umweg in den gleichen Raum bringen wie sonst. Dann lasse ich mich auf den Boden fallen und weigere mich aufzustehen. Sie ziehen mit behandschuhten Händen an meinen Ellbogen. Dann geben sie auf, die Angelegenheit im Guten lösen zu wollen, und schleifen mich an der Kette hinter sich her. Das tut weh, weil ich gegen Wände und Ecken stoße. Aber ich komme nicht dazu, mich wieder aufzurappeln. Sie haben die Geduld verloren und geben mir keine Chance mehr aufzustehen.
    Es piept und scheppert und dann schwappt mir frische, kalte Luft entgegen, ein längst vergessenes Gefühl. Ich reiße den Mund auf und schnappe gierig

Weitere Kostenlose Bücher