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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Pheengefahr zu bannen. Es freut mich, Ihnen berichten zu können, dass wir sehr erfolgreich waren. Endlich ist es uns gelungen, die letzte Phee unserer Zeit unter unsere Kontrolle zu kriegen. Es besteht kein Zweifel, dass mit ihrer Vernichtung die Schwierigkeiten, in die unsere Gesellschaft beinah erneut gestürzt worden wäre, verschwinden werden. Pheen waren das einzige Problem, das die Normalität noch hatte. Wir alle kennen das Gerücht, eine Phee sei unsterblich, ein Gerücht, das von ihnen selber in die Welt gesetzt worden war. Wie so vieles stimmt auch das nicht und Sie werden es selber erleben. Es gibt eine Methode, die schon unsere Vorfahren kannten, lange bevor unser eigener Kampf gegen den Wald begonnen hat.
    Wann haben Sie zuletzt eine Phee gesehen? Unsere Maßnahmen tragen Früchte und die Pheen fliehen vor der Normalität. Dass sie dieses Mädchen zurückgelassen haben, zeugt von zweierlei: Dass die Pheen sich nicht viele Gedanken um ihre eigenen Kinder machen und dass sie Angst davor haben, sich mit uns anzulegen. Sie alle werden jetzt Zeugen sein davon, wie dieses Waldwesen in Gestalt eines heranwachsenden Mädchens bald niemandem mehr von uns schaden kann.«
    Er dreht sich um, ich sehe sein Gesicht mit der hohen Stirn, den blassen glatt rasierten Wangen, dem fliehenden Kinn. Sehe seine erhobene Hand mit dem Streichholz, das bereits an einem Ende entflammt ist. Höre das Johlen der Menge.
    Und dann stehe ich mitten im Feuer.
    Es passiert genau das Gegenteil davon, was ich erwarte. Ich stehe immer noch da, gefesselt, jedoch unversehrt. Dafür brennt alles um mich herum. Die Flammen jagen nicht den Scheiterhaufen, sondern die Tribünen hoch, das Johlen der Menge verwandelt sich in angstvolles Kreischen. Ich sehe lodernde Kleider, rieche nicht nur verbranntes Holz, sondern auch angesengten Kunststoff und etwas anderes, was mir fast den Magen umdreht. Panik breitet sich aus, der Lärm wird ohrenbetäubend, vor den Notausgängen brechen Schlägereien aus und niemand achtet auf mich.
    »Hilfe!«, schreie ich, so laut ich kann. »Hilft mir jemand, hier freizukommen! Ivan!«
    Ich rechne nicht damit, dass er mich hört. Meine Stimme klingt schwach in diesem vielschichtigen Gebrüll. Ist er überhaupt da, war er gezwungen worden, mir beim Sterben zuzusehen?
    Ich kann es kaum glauben, als jemand in Mintgrün vor mir auftaucht. Seine Kleider brennen. Ich versuche mich verzweifelt von dem Pfahl loszureißen, aber die Kette scheppert nur und zieht sich fester zu. Im ersten Moment halte ich ihn für Ivan, aber dann sehe ich sein Gesicht. Es ist der Mann, der das Streichholz gehalten hat. Er klettert den Scheiterhaufen hoch, zertritt mit den Schuhen die Flammen.
    »Die Kette«, rufe ich, aber er braucht meine Hinweise nicht. Es dauert wenige Sekunden und dann bin ich frei und springe herunter und renne weg, ohne genau hinzuschauen, wohin, weg von dem Feuer und dem Schmerzensgeschrei.
    Ich kann nicht raus. Ich sehe, wie Menschen um die Notausgänge kämpfen, wimmernd, ihre Kleider in Flammen. Ich sehe das alles und tue nichts. Ich stehe einfach da, rühre mich nicht, versuche nicht einmal zu helfen. Es liegt nicht an meinem Entsetzen über die Ungeheuerlichkeit dessen, was sich hier abgespielt hat. Ich weiß, dass kein Einziger im Publikum sich geregt hat, um mir zu helfen. Keiner hatte geschrien »Sie ist doch noch ein Kind, Leute!«
    Aber trotzdem – ich handele nicht aus Rache. Ich empfinde keine Genugtuung, sondern nur Mitleid. Und ich denke an meine Mutter, an die ersten Gespräche mit ihr, nachdem sie verschwunden war und ich sie im Wald wiedergefunden hatte. Die ersten Gespräche in dem Wissen, dass sie eine Phee war.
    »Als ich jung war, war ich blind vor Wut«, hatte sie gesagt. Und: »Du wirst kaum eine Phee finden, die nicht eine ziemlich düstere Vergangenheit hätte.«
    Es ist keine bewusste Entscheidung, dass ich mich nicht rühre. Vielmehr warte ich einfach, bis es auch bei mir endlich so weit ist. Dass ich anfange zu husten, dass meine Haut Blasen wirft. Das Flammenmeer um mich herum ist überall und ich wünsche mir, dass es vorbei ist.
    Aber das Feuer kommt mir nicht zu nah.
    Es erinnert mich an das andere, das ich ausgelöst habe und das alles kaputt gemacht hat.
    Weil ich wütend war, habe ich den Wald in Flammen gesetzt. Dass der Wald mich daraufhin rausgeworfen hat, war nur gerecht. Aber ich will so dringend, so sehnsüchtig wieder dorthin. Ich bin schuld, dass der Wald nichts mehr mit mir und

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