Spiegelschatten (German Edition)
verspreche ich dir.«
Die paar Kilometer, dachte er beschämt. Immer gab es einen anderen Grund, den längst fälligen Besuch zu verschieben. Meistens lag es an Margot, die es sich anscheinend zum Ziel gesetzt hatte, die Beziehung zwischen Bert und den Kindern zu unterhöhlen. Sie tat das sehr geschickt. Ständig kam ihr etwas angeblic h äußerst Wichtiges dazwischen, immer wieder sagte sie ab.
» Ehrenwort?«
» Hochheiliges.«
» Mama muss jetzt auch nachmittags ab und zu arbeiten.«
Bert registrierte mehrere Dinge auf einmal. Erstens: Margot intensivierte Schritt für Schritt ihre wieder aufgenommene Berufstätigkeit als Buchhändlerin. Zweitens: Dadurch würden sich für ihn ungeahnte Gelegenheiten ergeben, endlich die Kinder öfter zu sehen. Drittens: Die Kinder hatten begriffen, dass ihre Mutter die Vater-Kind-Beziehung nach Kräften torpedierte.
» Dürfen wir dann zu dir?«
Es drehte Bert das Herz im Leib um, als er die unverhohlene Hoffnung in der Stimme seiner Tochter hörte.
» Du weißt doch, dass ich auch zur Arbeit muss«, sagte er vorsichtig.
» Mörder jagen.«
» Jagen ist nicht das richtige Wort…«
Er hätte seinen Kindern gern das Wissen erspart, dass Menschen einander umbrachten. Auch seinen Beruf hätte er ihnen am liebsten verschwiegen. Er hätte ihnen gern eine Welt ohne Hass, ohne Gewalt und ohne Tod geschenkt.
Doch die Welt war nicht so.
» Finn will auch Polizist werden, hat er gesagt.«
Bert wusste, dass sein Sohn ihn bewunderte. Ihm war nicht klar, aus welchen Gründen er das tat. Er befürchtete, dass er sich bei seinen Vorstellungen an den Cops aus amerikanischen Fernsehserien orientierte.
» Und du?«, fragte er. » Willst du immer noch Ballerina werden?«
Das Lachen seiner Tochter umspülte ihn wie eine warme Woge.
» Ich durfte heute vortanzen.«
» Wow!«
Das war das höchste Lob der Tanzlehrerin. Nach jeder Unterrichtsstunde durfte das Kind, das sich am meisten angestrengt hatte, den andern vortanzen.
» Und das erzählst du mir erst jetzt?«
» Eigentlich wollte ich es dir sagen, wenn du uns abholst.«
» Hör zu, Lara.« Bert beugte sich nach vorn, um sich voll und ganz auf das Gespräch mit seiner Tochter zu konzentrieren. » Ich stecke gerade mitten in einem neuen Fall…«
» Der Schwulenmörder, Papa?«
Die Frage traf ihn gänzlich unvorbereitet.
» Wie kommst du…«
» Finn sagt, du jagst einen Schwulenmörder.«
War es wirklich schon so lange her, dass seine Kinder zum ersten Mal über die Tischkante gucken konnten?
Und jetzt unterhielten sie sich über Schwulenmörder?
» Du, darüber würde ich lieber mit dir reden, wenn wir uns das nächste Mal sehen, in Ordnung?«
» Wann ist das nächste Mal?«
Es passierte häufiger, dass sie mit ihren zehn Jahren plötzlich wieder zu einem kleinen Kind wurde. Aber natürlich war ihre Frage mehr als berechtigt.
» Bald«, versprach er seiner Tochter. » Ganz bestimmt.«
Bert hatte das Gespräch kaum beendet, als der Anruf von Titus Rosenbaum ihn erreichte.
Sie hatten wieder eine Leiche gefunden.
*
Als Romy nach Hause kam, war sie fix und fertig. Sie schlug ein paar Eier in die Pfanne, schnitt zwei dicke Scheiben von dem frischen Brot ab, das sie in Bonn gekauft hatte, goss sich ein großes Glas Milch ein, trug alles zum Couchtisch, schaltete den Fernseher an und sank auf das Sofa.
Sie zappte durch die Programme und blieb bei einer Kochsendung hängen, die so angenehm ereignislos dahinplätscherte, dass sie sich augenblicklich entspannte.
Der Tag war hart gewesen. Gespräche mit den Maltesern. Kurzes, dramatisches Treffen mit Björn. Und schließlich die Pressekonferenz im Kölner Polizeipräsidium.
Alles war ihr unter die Haut gegangen.
Viel zu sehr.
Ingo hatte sich bei der Pressekonferenz neben sie gesetzt, die Beine locker übereinandergeschlagen, wobei der Knöchel des einen Beins auf dem Knie des anderen ruhte. Er war gewesen wie immer: konzentriert, überlegen und unzugänglich.
Der Kommissar hatte mit sicherer Stimme den Stand der Ermittlungen erläutert. Die Kameras und Mikrofone hatte man nicht zählen können.
Die Fälle erregten Aufmerksamkeit. Man merkte es an der Vielzahl der Fragen und an der Art, wie sie gestellt wurden. Die Journalisten fielen sich gegenseitig ins Wort.
Nur Ingo blieb gelassen. Er machte sich nicht mal Notizen. Hörte einfach zu.
» Gibt es eine heiße Spur?«
» Warum, glauben Sie, beschränken sich die Morde auf den Köln-Bonner Raum?«
» Welche
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