Spiegelschatten (German Edition)
Schaulustigen, die man hätte zurückhalten müssen. Der Tatort war nicht verunreinigt worden. Die Kollegen von der Spurensicherung waren konzentriert bei der Arbeit.
Jenseits der Absperrung befragte eine Beamtin ein junges Paar.
» Sie haben den Toten gefunden«, sagte Titus. » Vor allem der Junge ist total am Ende.«
Das Mädchen hatte den Arm um ihn gelegt. Beide saßen auf einem umgestürzten Baumstamm und sahen zu der Beamtin auf, während das Mädchen redete.
» Es hat ein bisschen gedauert, bis sie auf Fragen antworten konnten«, erklärte Titus. » Sie wollten sich einen romantischen Platz suchen, um ein wenig allein sein zu können, und sind förmlich über die Leiche gestolpert.«
» Gruselig«, murmelte Rick.
In diesem Moment wandte die Beamtin sich um und kam auf sie zu.
» Ihr habt Dilay noch nicht kennengelernt.« Titus lächelte. » Dilay, das sind Bert Melzig und Rick Holterbach, die Kollegen aus Köln.«
» Dilay Adam. Freut mich sehr.«
Sie war Mitte, Ende zwanzig und hatte das lange, glänzend schwarze Haar straff im Nacken zusammengebunden.
Wie eine Tänzerin, dachte Bert.
Aufmerksam sah sie ihnen in die Augen.
» Dilay…«, sagte Rick. » Türkisch?«
Ein belustigtes Lächeln erschien um ihren Mund. » Und was sagt dir der Name Adam?«, fragte sie mit feinem Spott. Dann beschloss sie, den armen Rick aus seiner Verlegenheit zu erlösen. » Meine Mutter stammt aus der Türkei, mein Vater aus Deutschland. Ich bin in Köln geboren und aufgewachsen.«
Sie war schön. Das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen wurde von dunklen, beinah schwarzen Augen beherrscht. Sie lächelte Rick freundlich an. Ihre vollen Lippen entblößten makellose weiße Zähne.
» Hallo, Dilay«, sagte Rick und hielt ihre Hand ein wenig länger fest als nötig.
Im Hintergrund erhob sich das junge Paar von dem Baumstamm und ging langsam davon.
Dilay sah ihnen nach. » Sie haben leider keine Beobachtung gemacht, die uns weiterhilft«, sagte sie. » Obwohl sie den Tatort fast unmittelbar nach der Tat betreten haben dürften.«
» Der Tod ist laut Dr. Kantor frühestens um siebzehn Uhr eingetreten«, erklärte Titus. » Gegen achtzehn Uhr dreißig haben die jungen Leute die Leiche aufgefunden.«
» Gibt es weitere Zeugen?«, fragte Bert und warf einen Blick auf den Rhein und das gegenüberliegende Ufer.
» Das müssen wir herausfinden«, erwiderte Titus. » Wir werden den Fahrplan der Züge auf der anderen Rheinseite überprüfen. Vielleicht hat ja einer der Fahrgäste etwas beobachtet.«
Bert fühlte sich an die grandiose Miss Marple erinnert, die aus einem Z ugabteil heraus Zeugin eines Mordes in einem Zug auf de m N achbargleis wurde. Aber war die Entfernung hier nicht zu groß?
» Und den Fahrplan der Schiffe.« Dilay machte sich eine Notiz. » Die waren näher dran.«
» Er provoziert uns«, sagte Rick nachdenklich.
Alle wandten sich ihm zu.
» Der Täter hätte es sich leichter machen können. Aber er hat es vorgezogen, Josch Bellmann hier aufzulauern. Dazu war wesentlich mehr Planung nötig als bei den ersten Fällen.«
» Nicht, wenn das Opfer regelmäßig trainiert und immer an derselben Stelle Pause gemacht hat«, warf Dilay ein. » Dann erforderte die Tat lediglich eine genaue Kenntnis seiner Gewohnheiten.«
» Und Mut zum Risiko«, fügte Titus hinzu. » Der Täter konnte in diesem öffentlich zugänglichen Bereich jederzeit überrascht werden.«
» Mut hat er schon im Fall Tobias Sattelkamp bewiesen«, gab Bert zu bedenken und spürte gleich, dass ihm der Begriff Mut in diesem Zusammenhang nicht gefiel, denn Mord war immer feige. » In dem engen Treppenhaus hätte er um ein Haar wie eine Maus in der Falle gesessen.«
Einen Moment lang schwiegen sie, und Bert war sich sicher, dass sie alle dasselbe dachten: Wäre der Täter beim Mord an Tobias Sattelkamp überrascht worden, hätte er den Zeugen beseitigen müssen, um davonzukommen.
Titus und Dilay verabschiedeten sich, um der Familie des Opfers die schreckliche Nachricht zu überbringen. Bert und Rick stiegen ins Auto, um nach Köln zurückzukehren. Doch zuvor wollten sie noch bei Björn Berner vorbeischauen. Er sollte die Neuigkeiten nicht telefonisch erfahren.
Beide hingen ihren Gedanken nach. Schließlich unterbrach Rick das Schweigen.
» Dilay. Ein schöner Name.«
Bert nickte.
» Und ein schönes Mädchen«, sagte Rick.
Bert nickte wieder.
» Findest du nicht?«
» Doch, sie ist sehr schön.«
» Wieso sagst du das so
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