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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hinweggeholfen.
    Doch Tobias hatte sich nicht aufraffen können. Immer wieder hatte er versprochen, es sich zu überlegen, und dann war er doch in seinem Zimmer hocken geblieben– dem einzigen Ort, an dem er sich während seiner Depressionen halbwegs geborgen gefühlt hatte.
    Josch warf sich vor, versagt zu haben. Wäre es ihm gelungen, Tobias ein wenig aus sich herauszulocken, wäre er vielleicht nicht ein so leichtes Opfer für den Mörder gewesen.
    Vielleicht.
    Wer wusste das schon.
    Der Mörder, dachte er, war ein hohes Risiko eingegangen, als er beschlossen hatte, Tobias bei der Arbeit aufzulauern. Wäre es nicht viel einfacher gewesen, ihn in dem Haus zu ermorden, in dem er gewohnt hatte?
    Josch zog das Tempo an.
    Als könnte er seinen Gedanken davonrudern.
    Und dem Grübeln.
    Bei den Maltesern herrschte Panik. Mehrere Kollegen hatten sich krankgemeldet, nachdem die Nachricht vom Mord an Tobias durchgesickert war.
    » Feige Hunde!«, stieß Josch keuchend hervor. » Elendes, feiges Pack!«
    Er ruderte viel zu schnell. Rang nach Luft. Und wusste, dass er den Jungs Unrecht tat. Sie befanden sich in einem Schockzustand. Genau wie er.
    » Genau wie ich«, murmelte er und fühlte mit einem Mal, wie seine Kraft in sich zusammenfiel.
    Er nahm die Skulls lang und ließ sich treiben. Stromabwärts, nachdem er stromaufwärts gerudert war. Egal.
    Endlich konnte er heulen. Alles rauslassen, was er so mühsam in sich verschlossen hatte. Endlich an Tobias denken, wie er ihn zuletzt gesehen hatte: über einen Witz lachend. Als hätte er noch nie von Depressionen gehört.
    Die Trauer machte schnell einer Wut Platz, wie er sie auch beim Tod von Leonard und Sammy empfunden hatte. Es schien, als sei diese Wut von Tod zu Tod gewachsen, und jetzt füllte sie jede Zelle seines Körpers aus.
    Josch wusste nicht mehr, wohin damit. Er nahm die Skulls und ruderte in einem Tempo, mit dem er jeden Wettkampf gewonnen hätte, ohne Unterbrechung bis auf die Höhe von Unkel, wo er beim Training immer eine Pause einlegte.
    Schweißgebadet und zitternd vor Schwäche ging er an Land.
    Sand und Kies, im Sommer glühend von der Hitze, hatten noch die Kälte der vergangenen Monate gespeichert. Dennoch ließ Josch sich, nachdem er das Boot an Land gezogen hatte, nieder, trank ein paar Schlucke Wasser und aß einen Müsliriegel, um seinen Blutzuckerspiegel wieder auszugleichen.
    Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass er knapp hundert Minuten gebraucht hatte. Eine respektable Zeit, doch er konnte sich nicht darüber freuen. Die Frage der Bullen quälte ihn.
    Gab es in seinem Umfeld einen Menschen, dem er zutraute, ein Mörder zu sein?
    Von dieser Stelle aus blickte er über die B9 und die Schienenstrecke der linken Rheinseite hinweg auf Schloss Ernich. Ein vertrautes Bild, aber es gelang ihm heute nicht, es zu genießen. Er schaffte nicht einmal, es richtig wahrzunehmen. Ohne Unterlass kreiste die Frage in seinem Kopf.
    Unzählige Male hatte er hier schon Rast gemacht und war wieder zu Atem gekommen. Häufig, dachte er, war er nur aus diesem einen Grund überhaupt aufgebrochen: um hier zu sitzen und nach der Anstrengung des Ruderns in dieser unvergleichlichen Landschaft mit sich und dem, was ihn gerade beschäftigte, allein zu sein.
    Hier hatte er Antworten auf seine Fragen gefunden. Immer.
    Heute gab es keine Antwort für ihn.
    Wie betäubt hörte er das gleichmäßige Rauschen des Verkehrs auf der B 9, übertönt vom Lärmen eines ungewöhnlich langen Containerzugs, der in Richtung Koblenz fuhr.
    Alles war wie sonst auch und dennoch ganz anders.
    Josch wünschte sich, die Sonne würde zwischen den Wolken hervorkommen und das Wasser glitzern lassen. Er wünschte, er könnte mit einem Unbeteiligten über die Bedrohung sprechen, die über ihm und seinen Freunden hing. Wünschte, er würde aufwachen, und alles wär nur ein Traum gewesen.
    Ein Auto hupte.
    Ein Vogel segelte über das Wasser.
    Ein Lastkahn glitt vorüber.
    Es war an der Zeit, wieder ins Boot zu steigen, doch er konnte sich nicht dazu aufraffen. Er hatte sich verausgabt, seine Kraft vergeudet, statt sie klug einzuteilen. Ein unverzeihliches Verhalten.
    Josch hatte gelernt, die Gefahren auf dem viel befahrenen Rhein nicht zu unterschätzen. Immer mit voller Aufmerksamkeit zu rudern. Keine Risiken einzugehen.
    Wozu?, fragte er sich mit beißendem Spott. Überleben, um dann von einem Irrsinnigen totgeschlagen zu werden wie… wie…
    Er schloss die Augen. Versuchte, gegen die

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