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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hätte er die ganze Welt umarmen mögen. Sein Kopf war mit Ruhe angefüllt. In seinem Körper pulsierte das Blut. Er war eins geworden mit seinen Bewegungen.
    Er liebte das Leben.
    Eine knappe Stunde später kam er wieder zu Hause an. Er machte die Balkontür weit auf, um frische Luft hereinzulassen, ging ins Badezimmer und zog die nassen Sachen aus. Er stopfte sie in den Wäschekorb und legte sich ein Badetuch zurecht. Ihm fiel auf, wie wunderbar präzise seine Handgriffe waren, und er machte sich bewusst, dass diese Präzision nur durch ein äußerst komplexes Zusammenspiel von Gehirn, Muskeln und Sehnen möglich war.
    Auch das machte ihn glücklich.
    Vor Wohlbehagen seufzend hielt er das Gesicht in den Wasserstrahl und überließ sich ganz der Wärme und dem Prickeln des Wassers auf der Haut.
    Den Schatten, der sich näherte, hatte er durch die von Wasserdampf beschlagene Scheibe der Duschabtrennung gerade wahrgenommen, als auch schon die Tür aufgerissen wurde und eine dunkle Gestalt den Arm hob.
    Hitchcock, dachte er ungläubig, als der Schlag seinen Kopf traf. Psycho.
    Wie dramatisch.
    Gleichzeitig war ihm bewusst, wie unangemessen dieser Gedanke war.
    Dann brach er unter einem Feuerwerk von Schmerzen zusammen und fiel ins Nichts.
    *
    Wie einfach es war. Zu töten.
    Wie intim der Moment, in dem es geschah.
    Wie nah er dem Tod kam.
    Dem Sterbenden.
    Er durfte nur kein Mitleid empfinden.
    Es war wichtig, zwischen sich selbst und dem Opfer zu trennen. Niemandem war damit gedient, die Ebenen zu vermischen, erst recht nicht der Sache. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, was nur gelingen konnte, wenn er sich nicht von Emotionen verwirren ließ.
    Eine Weile blieb er und schaute den Toten an, wie er dalag, nackt wie ein Neugeborenes, aber ohne dessen Unschuld.
    Schuldig, dachte er und blickte auf das Blut, das sich mit dem Duschwasser mischte und in einem aufgeregten kleinen Wirbel in den Abfluss strömte. Schuldig, schuldig, schuldig.
    Schließlich riss er sich von dem Anblick los und stand auf, um das Wasser abzudrehen.
    Die plötzliche Stille machte etwas mit seinem Kopf. Es fühlte sich an, als wäre sein Gehirn auf einmal mit Watte gefüllt. Er ballte die Hand zur Faust und presste sie gegen den Mund, um nicht in Panik zu geraten.
    Nicht schreien, dachte er, bloß nicht schreien.
    Ihm war klar, dass er diesen Ort so schnell wie möglich verlassen sollte. Mit jeder Minute, die er neben dem Toten verwei lte, erhö hte sich die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn entdeckte.
    Es fiel ihm schwer, sich loszureißen. Dieser Moment, der nur ihm und dem Tod gehörte, war ihm heilig. Er hätte ihn gern noch eine Weile ausgekostet. Doch das wagte er nicht. Es hätte gegen sämtliche Regeln der Vernunft verstoßen.
    Draußen wurde er unvermittelt von einem heftigen Schüttelfrost gepackt. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu dem kleinen Gartentor und verschwand zwischen den wilden Sträuchern, die die Straße säumten.
    *
    » Maxim fährt morgen nach Berlin zurück.«
    Björns Stimme hörte sich traurig an und Romy hätte ihn am liebsten in die Arme genommen. Sie presste das Handy ein bisschen fester ans Ohr. Selbst Björns Atmen klang bedrückt.
    Maxim!, dachte sie. Du elender Mistkerl! Such dir einen andern zum Spielen. Einen, der dich nicht so verzweifelt liebt wie mein Bruder und dem es nichts ausmachen würde, dich zu verlieren. Denn das wird er irgendwann.
    » Wie lange war er jetzt bei dir?«, fragte sie, nur um überhaupt etwas zu sagen.
    » Einhunderteinunddreißig Stunden und…«
    » Danke«, unterbrach Romy ihn, » auf die Minuten und Sekunden bin ich echt nicht scharf.«
    » Ach, Romy…«
    Romy wusste, dass Björn unter der Kälte zwischen seiner Schwester und seinem Freund litt. Sie hätte Maxim zu gern ins Herz geschlossen, und sei es nur, um Björn glücklich zu sehen. Ihre Unfähigkeit, diesem selbstgefälligen Typen irgendetwas Positives abzugewinnen, brachte ihren Bruder in eine scheußliche Situation. Bislang war die Lage wie durch ein Wunder nicht eskaliert, und er hatte nicht wählen müssen zwischen den beiden Menschen, die er am meisten liebte.
    Für wen würde er sich entscheiden?
    Romy schob die Frage weit von sich. Sie saß in der Redaktion und war mit langweiligen Zulieferarbeiten beschäftigt. Björns Anruf hatte sie aus der einschläfernden Monotonie des Vormittags gerissen und sie gleichzeitig davor bewahrt, wieder in ihrem eigenen Drama mit Cal zu versinken.
    » Nur nicht die Geduld

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