Spieglein, Spieglein an der Wand
zerschlissen und zerfleddert ist.
„Kennst du den hier? Er heißt Jonathan. Das Foto wurde ungefähr in der Zeit aufgenommen, als der Engel seine letzte Party gab.“
Lasse betrachtet das Bild eine Weile. „Das ist doch der Typ, der verschwunden ist, oder? Vorletztes Jahr?“
Ich nicke.
„Daran kann ich mich gut erinnern. Hat man ihn denn nie gefunden?“
Die Leute stellen immer die gleiche Frage, wenn sie begreifen, dass ich den Jungen kannte, der nach einem Schulfest spurlos verschwand. Ich antworte dasselbe wie immer: „Er ist noch nicht wieder aufgetaucht.“
„Du suchst ihn immer noch?“
„Ja. Kanntest du ihn? Kam er zu den Partys von Engel?“
Lasse nimmt mir das Foto aus der Hand und betrachtet es erneut. Ich habe das Gefühl, dass er seine Antwort absichtlich in die Länge zieht, um mich zu quälen. „Er war auf den letzten beiden Partys von Engel.“
Ich werde von Erleichterung und Hoffnung erfüllt. Ich hatte recht.
„Ich habe nie mit ihm gesprochen“, sagt Lasse. „Aber ich kann mich daran erinnern, dass er sich eine Weile lang immer in der Nähe des Engels aufhielt, deshalb habe ich ihn auch wiedererkannt, als überall in der Stadt diese Suchmeldungen hingen.“
„Und du bist nicht zur Polizei gegangen?“
„Weil ich ihn irgendwann zuvor zufällig auf einer Party gesehen habe? Das hielt ich nicht für so relevant.“
„Worüber sprach er mit dem Engel?“
„Keine Ahnung. Ich gehöre nicht zu seinen Vertrauten.“ Lasse drückt mir das Foto wieder in die Hand. „Es tut mir leid, aber ich kann dir nichts Neues über deinen Freund erzählen. Ich kannte ihn nicht.“
„Aber du hast ihn auf der Party gesehen?“
„Und bei einem Konzert im Loppen ein paar Wochen zuvor.“
„Was für ein Konzert?“
„Von irgendeiner deutschen Schwulenband. Schlechte Musik, aber es war ein Solikonzert für die Aidshilfe, und bei so was tauchen ja immer alle auf. Der Engel war übrigens auch da.“
„Also kannten sie sich?“
Lasse zuckt mit den Schultern und geht in Richtung Strøget. Die Frage, die wichtigste, schwerste, brennt mir lange auf der Zunge, bevor ich endlich in zerhackten Stückchen beginne: „Jonathan … kam er … wollte er jemanden …“
Lasse bleibt stehen und dreht sich um. „Ob er in der Szene unterwegs war, um jemanden kennenzulernen? Willst du das fragen?“
Ich nicke zögernd. Es ist, als hätte ich schnell trocknenden Zement im Nacken. Ich werde es bereuen, sobald ich gefragt habe. Und das hat Lasse natürlich sofort durchschaut.
„Bevor du mich fragst, solltest du dir ganz sicher sein, ob du die Antwort wirklich hören willst.“
Vielleicht kannte ich Jonathan überhaupt nicht. Und das wäre am schwersten zu akzeptieren.
29. März
Für Rasmus geht es bei der gesamten Frühjahrsparty nur um seinen eigenen Auftritt. Er bildet sich ein, dass an der Schule bereits aufgeregte Gerüchte darüber kursieren, wer sich hinter Mizz Take This verbirgt. Um Öl ins Feuer zu gießen, haben Juliane und Rasmus Plakate aufgehängt, die für die Show werben. Und Rasmus’ Alter Ego hat natürlich den auffälligsten Platz auf dem Plakat erhalten. Es geht mir ziemlich auf den Zeiger, dass alle unsere Vorbereitungstreffen nur von seinen drei Minuten auf der Bühne handeln. Also konzentriere ich mich darauf, die restlichen Beiträge auf der Bühne zu koordinieren, während Rasmus und Juliane sich mit dem Hausmeister streiten. Sie haben völlig unrealistische Vorstellungen zum Thema Bühneneffekte und erhalten eine Absage bezüglich Konfettikanonen, Seifenblasenmaschinen und Pyrotechnik.
Am Montag nach unserem Streit im Close werde ich per SMS an einen bestimmten Ort nach Frederiksberg bestellt. Also schwänze ich die letzte Stunde und begebe mich zum Ausgang. Als ich fast draußen bin, taucht Veronica mit einem der Partyplakate in der Hand auf. Sie klopft mit ihrem lackierten Nagel auf Mizz Take This : „Mateus, wer ist das?“
„Ich dachte, die Show wäre dieses Jahr nicht dein Problem?“
Veronica sieht mich über ihre kilometerlangen Wangenknochen hinweg an und legt den Kopf schräg: „Es ist nicht meinProblem. Aber es ist immer noch meine Verantwortung. Ist es Kim Fjeldmose?“
„Wer?“
„Kim Fjeldmose aus meinem Jahrgang? Er hat immer bei allen Partys die kranke Idee, dass wir ihn gerne in einer Sado-Show sähen.“
„Es ist nicht Kim. Die wahre Identität von Mizz Take This bleibt bis zu der Party geheim.“
„Pass nur auf, dass du nicht die Kontrolle
Weitere Kostenlose Bücher