Spieglein, Spieglein an der Wand
nie auf jemanden eifersüchtig und es fällt ihm schwer zu verstehen, wenn andere Menschen es sind. Wahrscheinlich hat er eher Angst davor, was wir über Jonathan rausfinden könnten.
„Ikarus hat schon mal recht gehabt in Bezug auf Jonathan“, sage ich. „Wenn dieser Engel nun irgendwas auf dem Kerbholz hatte und Jonathan ist ihm auf die Spur gekommen?“
„Und was sollte das hier bitte für eine Spur sein? Illegale Partys, oder was?“
„Oder etwas anderes.“
Nick schüttelt abweisend den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Jonathan im September verschwindet, weil er zufällig im März auf irgendeiner Schwulenparty war!“
„Aber es könnte doch irgendein Zusammenhang bestehen?“
„Ach, hör doch auf damit. Ich habe keinen Bock mehr darauf.“
„Worauf?“
„Jedes Mal wie ein dressierter Affe im Kreis zu springen, wenn sich Ikarus mit einem neuen Rätsel meldet. Ich habe genug davon, vor diesem Idioten in der Manege Kunststückchen zu machen.“
„Du hast ja Angst!“
„Ja, aber nicht vor dem, was du glaubst. Es interessiert mich kein bisschen, ob Jonathan in seiner Freizeit mit Jungs rumgeknutscht hat.“
„Was ist es dann?“
Nick steht auf und geht zum Fenster rüber. Er stößt einen Seufzer aus. „Wenn wir uns jetzt wieder irgendwelche … Hoffnungen … machen.“
„Ihn zu finden?“
„Oder einfach nur rauszufinden, was passierte. Warum er …“
Ermordet wurde?
Sich das Leben nahm?
Die Fragen schweben zwischen uns in der Luft. Wie sie es immer tun.
„Wie im Herbst“, sage ich. „Als Liv fest daran glaubte, dass er in Griechenland war.“
„Und uns hatte sie doch wohl auch davon überzeugt.“
Jedenfalls fast. Als ich mit nach Griechenland fuhr, ging es mir vor allem darum, Nick und Liv nicht eine ganze Woche lang allein zu lassen. Natürlich wurde das der beschissenste Urlaubever, und natürlich hat Jonathan vermutlich nie auch nur einen Fuß auf diese schwachsinnige Insel gesetzt. Die Enttäuschung hat mir anschließend noch wochenlang die Laune verdorben.
Nick rollt sich langsam eine Jalousienschnur um den Finger. „Vielleicht sollten wir einfach aufgeben. Ich bin es leid, einer Spur nach der anderen nachzuhecheln, und am Ende erweisen sich doch alle als Sackgassen.“
„Daran glaube ich nicht.“
„Woran?“
„Ich glaube nicht, dass du aufgeben willst.“
Denn hat Nick erst einmal die Hoffnung aufgegeben, tue ich es auch. Er ist der Stärkere von uns beiden, also liegt es in seiner Verantwortung, unseren Glauben am Leben zu erhalten. Es besteht immer noch die Chance, dass Jonathan eines Tages zurückkehrt. Wenn wir daran nicht mehr glauben, ist alles vorbei. Dann bleibt von Jonathan, abgesehen von ein paar Erinnerungen aus dem Fotoalbum, nichts mehr übrig.
27. März
Das Close macht seinem Namen wieder alle Ehre. Man ist gezwungen, dicht gedrängt zu stehen. Ich zwänge mich bis zur Bar und frage nach Rasmus und Juliane, bekomme aber nur ein gestresstes Schulterzucken des Barkeepers als Antwort: „Kenn ich nicht. Willst du was trinken?“
Ich finde sie in der hintersten Ecke. Juliane sitzt an einem Tisch und beobachtet Rasmus, der mit drei Jungs auf einmal tanzt. Es muss dasselbe Gefühl sein, wie wenn man sein Kindermädchen zum Feiern mitnimmt. Im Laufe eines Biers arbeitet Rasmus sich durch den gesamten Raum. Er ist mal hier, mal dort, er ist überall, verteilt Wangenküsse, tanzt und flirtet.
„Hat er jemand Bestimmten im Auge?“, frage ich.
„Das ist reine Show. Er interessiert sich nur für Lasse.“
„Ist seine Hoheit denn heute Abend hier?“
„Man erzählt sich, er wäre unterwegs.“
Und sicher sind sie in erster Linie deshalb hier. Rasmus will Lasse treffen, und Juliane ist als Anstandswauwau mit dabei. Heute haben ihre Augen einen betrübten Ausdruck.
„Bist du wegen irgendwas traurig?“
Sie sieht mich verwundert an. Eigentlich reden wir nicht über private Dinge. Doch, über Rasmus’ Privatleben in allen überflüssigen Details, aber nicht über ihres. Ich weiß nicht, ob es in Julianes Leben eine Art weibliche Ausgabe von Lasse gibt.
„Vielleicht ein bisschen.“
„Und worüber?“
„Einfach nur so, über alles. Es gibt immer irgendetwas, das schuld daran ist, dass man nicht richtig glücklich ist. Geht es dir auch so?“
So ehrlich war sie mir gegenüber nie. Ihre Verletzlichkeit macht sie hübsch, obwohl ich mein Verliebtsein in Juliane eigentlich begraben hatte. Jetzt erfasst es mich erneut wie eine warme Woge. Was
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