Spieglein, Spieglein an der Wand
veranstaltet.“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass er gestorben sein soll“, sagt Juliane.
„Ja, an einer Überdosis“, nickt Rasmus. „Das habe ich auch gehört.“
„Vielleicht ist ihm auch einfach nur das Geld ausgegangen“, antworte ich und blicke Lasse an. „Du weißt doch bestimmt genau, wer der Engel ist?“
Lasse nickt geheimnisvoll: „Ja, in gewisser Weise schon.“
„Sag es!“, kreischt Rasmus aufgeregt.
„Der Engel ist nicht tot. Er hat einfach nur das Interesse an Partys verloren und beschlossen, seine Zeit fortan sinnvoller zu nutzen.“
„Was kann denn sinnvoller sein, als Partys zu geben?“, fragt Rasmus und verdreht die Augen.
„ Bash Back . Der Engel hat Kontakt zu mehreren Gruppen in den USA.“
„ Bash Back ?“, fragt Juliane. „Also ‚zurückschlagen‘?“
„Genau. In den USA ist man viel weiter damit, den Widerstand zu organisieren.“
„Das klingt ja wie im Zweiten Weltkrieg“, sage ich.
„Der Vergleich ist nicht ganz abwegig. Vierzig Prozent aller dänischen Gewaltopfer werden nur aufgrund ihrer ethnischen oder sexuellen Zugehörigkeit überfallen.“
„Fuck, sind das echt so viele?“, fragt Rasmus.
„Deswegen hat der Engel eine Gruppe zusammengerufen, die nach amerikanischem Vorbild zurückschlagen will.“
„Das ist doch einfach nur Selbstjustiz“, entgegne ich. „Oder hast du ein anderes Wort dafür?“
„Nenn es, wie du willst. Hate crime muss gestoppt werden.“
„Und Gewalt stoppt man am besten mit Gegengewalt?“
Ich höre selbst, dass ich wie ein gehirngewaschenes braves Jüngelchen klinge, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, wie man Typen wie Schiefnase oder den Roten stoppen kann, indem man zurückschlägt. Das bringt sie wohl kaum dazu, noch mal genau nachzudenken, ehe sie auf eine Schwuchtel losprügeln. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil.
Lasse zieht seine Augenbrauen hoch: „Du meinst wohl immer noch, dass man nur die andere Wange hinhalten sollte?“
„In dieser Hinsicht ist Mateus der reinste Gandhi“, sagt Rasmus und wuschelt mir durchs Haar.
Ich schubse seine Hand weg. „Soweit ich mich erinnern kann, hast du doch als Erster den Schwanz eingekniffen, als diese Typen hinter uns her waren.“
Schlagartig verschwindet das Lächeln aus Rasmus’ Gesicht.
Juliane mischt sich blitzschnell ein. „Ich finde, da haben wir uns alle nichts genommen.“
„Aber nicht, wenn es ums Provozieren ging. Da hat Rasmus eindeutig die Führung übernommen, wenn ich mich recht erinnere.“
„Hätte ich denn einfach die Klappe halten und mich damit abfinden sollen, was diese zwei Arschgeigen von sich gegeben haben?“
„Ja, warum nicht?“
„Ich kann und will mich aber nicht damit abfinden, dass ich von Leuten beschimpft werde, die ich überhaupt nicht kenne!“
„Aber das kann man auch weniger provokant tun. Genau das hat Winky nämlich versucht, bevor du so getan hast, als würdest du deiner Bratwurst einen blasen.“
„Du solltest einfach mal deine Fresse halten! Du weißt überhaupt nicht, wie es ist, in unserer Lage zu sein!“
„Deshalb darf ich doch wohl trotzdem eine eigene Meinung haben!“
„Nein, darfst du nicht!“
Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass Lasse lächelt. Diesem Scheißkerl gefällt es anscheinend richtig gut, dass wir uns streiten. Ein paar Typen an unserem Tisch haben ihr Gespräch unterbrochen und starren uns neugierig an. Lasse steht auf, nickt Juliane zu und geht.
„Streitet euch doch nicht so“, mahnt Juliane mit Enttäuschung in der Stimme. „Wenn ihr euch deswegen zerstreitet, ist das nur ein weiterer Punkt für diese Idioten. Denn dann haben sie eure Freundschaft zerstört.“
Sie hat recht, aber es fällt mir schwer, den belehrenden Tonfall in ihrer Stimme zu ertragen. Ich nehme den Flyer vom Tisch und renne Lasse hinterher. Er ist vor einem Laden ein Stück weiter die Straße entlang stehen geblieben.
„Ich muss dich was fragen.“
„Du wirst aber nicht erfahren, wer der Engel ist.“
„Der Engel ist mir eigentlich auch egal. Ich finde, er klingt wie ein egozentrischer Trottel.“
Die Provokation bringt Lasse nicht dazu, seinen Blick vom Schaufenster abzuwenden. Er deutet mit dem Kopf auf ein paar gelbe Turnschuhe. „Wie findest du die? Sind 1200 Kronen nicht ein bisschen zu viel?“
Ich habe keine Lust, über Schuhe zu reden. Stattdessen hole ich das Foto aus meiner Tasche. Das Foto von Jonathan, das ich immer bei mir trage und das nach eineinhalb Jahren ganz
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