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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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Carl-Philip klebt nicht mehr an seiner Schwester wie früher. Ich will ihm gerade sagen, dass er sich verändert hat, alser mich fragt, ob ich ihm nicht ein bisschen Hasch besorgen könnte.
    Das war nicht gerade die Frage, mit der ich gerechnet hatte. Wenn er mich mit hochroter Birne in sein Zimmer schleift, denke ich, dass es garantiert um Mädchen geht. Stattdessen bittet er mich, ihm ein paar Gramm zu besorgen. Ich stehe wie gelähmt in dem stickigen Zimmer. Die Einrichtung ist vom Übergangsalter zwischen Junge und Mann geprägt. Einige Relikte aus der Kindheit durften stehen bleiben. Der Rest ist Zufall.
    „Ich bin doch kein Dealer, verdammt noch mal!“
    „Nein, aber vielleicht kennst du einen.“
    Als Elfjähriger hatte Carl-Philip in seiner kindlichen Unsicherheit noch einen gewissen Charme. Die platten Witze und die klebrige Anbetung aller, die älter waren, wirkten irgendwie niedlich. Der dreizehnjährige Carl-Philip ist dagegen ziemlich unsympathisch.
    „Ja, Geld ist jedenfalls nicht das Problem“, sagt er herablassend. „Wir können schon das bezahlen, was es eben kostet.“
    „Wir?“
    „Ja, ich und meine Kumpels.“
    „Welche Kumpels?“, frage ich und fühle mich wie Carl-Philips Vater. Der Anwalt.
    „So Typen aus meiner Klasse halt.“
    „Und versuchen die auch, was zu besorgen, oder musst nur DU das machen?“
    „Was?“
    „Ich kann ja gut verstehen, dass euch Bier auf Dauer zu langweilig wird …“ (Kann ich natürlich nicht! Als Dreizehnjähriger fand ich es oberkrass, drei Bier auf eine Party mitzubringen, und fühlte mich fast wie ein Drogenabhängiger, wenn mal ein Starkbier dabei war) „Und dann hat man vielleicht Lust, mal was anderes auszuprobieren, aber du musst doch wohl nicht das ganze Risiko auf dich nehmen?“
    „Risiko?“
    „Das ist illegal, Carl-Philip.“
    „Es geht doch nur um ein paar Gramm.“
    „Hast du eine Ahnung, wie lange man für ein paar Gramm in den Knast kommen kann?“
    „Ich bin doch aber unter fünfzehn.“
    „Wisst ihr denn überhaupt, was man damit macht?“
    „Vielleicht.“ Carl-Philip sieht unsicher aus. „Nikolaj aus meiner Klasse … Es war seine Idee. Und er weiß wohl, was man damit macht.“
    „Aha, tut er das?“
    „Ja, er ist der totale Checker!“
    „Und was kriegst du im Gegenzug dafür?“
    Carl-Philips Augen verschmälern sich zu verräterischen, engen Schlitzen. In Wirklichkeit geht es ihm darum, sich Freunde zu kaufen. Und das Hasch ist nur ein Zahlungsmittel.
    „Hör zu, kannst du mir jetzt was besorgen oder nicht? Ich brauche einfach nur ein klares Ja oder Nein.“
    Wenn ich mich als Dreizehnjähriger nur halb so provokant benommen habe, verstehe ich im Nachhinein gut, warum mein Vater es nötig hatte, einen ganzen Kontinent zwischen uns zu legen.
    „Wie wäre es, wenn ich mal kurz den Flur runterlaufe und deiner Schwester erzähle, worum du mich gerade gebeten hast?“
    „Das würdest du nicht tun.“
    „Nicht?“
    „Dann wärst du wirklich hohl im Kopf. Außerdem behaupte ich dann einfach, dass du dir das ausgedacht hast.“
    Ich erkenne die Taktik wieder. Vor eineinhalb Jahren hat erseine Eltern in großem Stil belogen. Zum Glück wussten sie genau, dass sie die Hälfte abziehen mussten, wenn Carl-Philip behauptete, Liv hätte ihn verprügelt und im Schrank eingesperrt. Wenn sie überhaupt zu Hause waren, um sich seine Beschwerden anzuhören.
    „Du hast recht“, sage ich. „Wenn du Hasch rauchen willst, ist das deine eigene Sache.“
    „Okay.“
    „Ich habe nur keinen Bock, dein Dealer zu sein. Und frag mich ja nie wieder danach!“
    Carl-Philip muss ohne meine Hilfe klarkommen, denn ich habe damit abgeschlossen, Dreizehnjährige viel zu früh in die Geheimnisse der Erwachsenen einzuweihen.
    Außerdem würde Liv mich töten.

31. März
    Es ist sieben Uhr abends und noch nicht dunkel. Eine Amsel sitzt auf dem First des Nachbarhauses und singt; ich vermute es zumindest, weil ich nichts anderes höre als Livin’ on a Prayer , das aus dem Keller dröhnt. Jon Bon Jovi wäre jetzt ein willkommener Gast in der Weyesgade. Dasselbe gilt für den Rest der Band. Denn ihr größter Hit zerreißt den letzten, stillen Abend im März – und ihm wird gerade übel mitgespielt.
    Ich wickele meinen Verband vom Handgelenk. Die Schwellung ist weg und das Handgelenk lediglich noch ein bisschen steif. Ich habe keine Schmerzen mehr. Sie wurden jedoch durch eine innere Unruhe in meinem Kopf ersetzt, in dem sich die Gedanken

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